Der Gefangenenaustausch zwischen Russland und westlichen Staaten sorgt für Schlagzeilen. Im Mittelpunkt steht dabei der Tiergarten-Mörder Wadim Krasikow. Warum hat Putin so großes Interesse an ihm? Dafür gibt es mehrere Gründe, die bis zu Putins Aufstieg zurückreichen.
Wladimir Putin kam selbst zum Flughafen. Er ließ es sich nicht nehmen, die in einem Gefangenenaustausch freigepressten Russinnen und Russen zurück im „Heimatland” zu begrüßen, wie er es ausdrückte. Der russische Machthaber posierte für Fotos mit ihnen – Spione, Betrüger, Kriminelle, vor allem aber ein verurteilter Mörder: Wadim Krasikow.
Schon seit langem versuchte der Kreml, Krasikow freizubekommen. Es scheint fast so, als sei er einer der Hauptgründe, weshalb es überhaupt zu dem Gefangenenaustausch kam. Aber warum hatte Putin ein so großes Interesse daran, ihn nach Russland zu holen?
Krasikow wurde 2021 in Berlin für den Auftragsmord an einem tschetschenischstämmigen Georgier verurteilt. Das Opfer war Anfang des Jahrtausends Kommandeur tschetschenischer Kämpfer, für Russland war er ein „Staatsfeind”. Nach dem Ort des Attentats von 2019 wurde Krasikow als Tiergarten-Mörder bekannt. Das Gericht war sich sicher, dass er im Auftrag des russischen Staates gehandelt hatte. Es verurteilte ihn zu lebenslanger Haft und stellte die besondere Schwere der Schuld fest. Eine vorzeitige Haftentlassung war damit nahezu ausgeschlossen.
Recherchen enthüllen Krasikows Identität
Der Täter selbst bestritt die Tat bis zuletzt – er sprach von einem Missverständnis, gab sich als Bauingenieur aus. Auch Russland wies jede Verwicklung zurück. Beides wurde als Lüge enttarnt. Einerseits setzte sich Putin persönlich und öffentlich für Krasikow ein. Warum sollte er das für einen gewöhnlichen Kriminellen tun? Andererseits wiesen Ermittler und Investigativjournalisten nach, dass Krasikow keineswegs der harmlose Bauingenieur war, als den er sich darstellte. Dabei halfen zum Beispiel alte Fotos eines Mannes mit zwei Tätowierungen – dieselben Tätowierungen, die auch der Mann vor Gericht trug.
Krasikow kam demnach 1965 zur Welt und war Kommandeur einer Spezialeinheit des russischen Geheimdienstes FSB. Laut der investigativen Website Bellingcat wurde er im Süden der damaligen Sowjetrepublik Kasachstan geboren und soll bereits 2013 in Moskau einen Mord an einem Unternehmer begangen haben.
Interessanterweise gab der Kreml Krasikows Identität als FSB-Mitarbeiter erst nach dessen Überstellung nach Russland zu. Er sei Mitglied der Eliteeinheit „Alpha” des Geheimdienstes gewesen und habe „mit mehreren (derzeitigen) Beschäftigten für den Sicherheitsdienst des Präsidenten gearbeitet”, hieß es.
Die Zugehörigkeit zum russischen Geheimdienst hat er mit dem ehemaligen KGB-Agenten und FSB-Chef Putin gemein. Kannten sich beide persönlich? Das ist möglich. Der „Spiegel” berichtet unter Berufung auf Sicherheitskräfte, dass der russische Machthaber Krasikow noch aus seiner Zeit als Vizebürgermeister von Sankt Petersburg kannte. Womöglich hat er demnach sogar Putin als Leibwächter gedient.
Geheimes Wissen über Putins Aufstieg?
Mehr noch: Die „Bild”-Zeitung berichtet unter Berufung auf westliche Geheimdienste, dass beide eine gemeinsame Vergangenheit verbindet – und Krasikow über Wissen verfügt, das dem Kreml-Chef gefährlich werden könnte. Es soll dabei um den Tod von Putins politischem Ziehvater Anatoli Sobtschak gehen, der kurz nach Putins Amtsantritt unter mysteriösen Umständen starb. Hat Putin ihn also freigepresst, um zu verhindern, dass er im deutschen Gefängnis Geheimnisse preisgibt?
Auch CDU-Sicherheitsexperte Roderich Kiesewetter stellt diese Vermutung an: „Krasikow war die Schlüsselfigur, ein langer Kollege, Freund, Partner von Putin, die kennen sich seit über 30 Jahren, und Putin lag sehr daran, diesen Mann freizubekommen, weil natürlich Krasikow viel mehr weiß, als er in seinen Verhören preisgegeben hat”, sagte er dem SWR. Nun werde Krasikow „belohnt … für sein Schweigen”.
Fest steht, dass Putin sich mehrfach für den Tiergarten-Mörder eingesetzt hat. So kritisierte er etwa dessen Verurteilung. Auch ein Austausch war immer wieder im Gespräch: Etwa als die USA versuchten, die in Russland inhaftierte amerikanische Basketballerin Brittney Griner freizubekommen. Damals lehnte Deutschland ab.
Im Februar sprach Putin das Thema dann öffentlichkeitswirksam an: Er schlug im Interview mit US-Moderator Tucker Carlson vor, den – aus fadenscheinigen Gründen in Russland verurteilten und inhaftierten – US-Journalisten Evan Gershkovich gegen eine „Person, die aus patriotischen Gründen einen Banditen in einer europäischen Hauptstadt getötet hat”, auszutauschen. Putin gab damit zu, dass Krasikow in Berlin getötet hatte – freilich ohne irgendeine Beteiligung des russischen Staates einzugestehen. Im Hintergrund liefen da längst geheime Verhandlungen, Deutschland hatte seine Blockadehaltung aufgegeben.
Neben möglichen persönlichen Interessen könnte es Putin bei der Freilassung Krasikows aber auch um etwas anderes gegangen sein: „Wichtiger – und gefährlicher – ist die Tatsache, dass jeder erfolgreiche Geiseldeal ein Signal Putins an die Menschen ist, die in Übersee für ihn arbeiten, dass er sie retten wird, wenn sie gefangen genommen werden”, schreibt Tom Nichols, Experte für internationale Beziehungen und ehemaliger Professor am Naval War College in den USA, in der Zeitschrift „The Atlantic”. Mit dem Gefangenenaustausch bekräftige Putin, dass er diejenigen, die ihm dienen, nie vergesse und alles tun werde, um sie nach Hause zu bringen.