Von Osama bin Laden bis Hanija: Darf man den Tod von Terroristen bejubeln?

Die Tötung mehrerer führender Köpfe von Hamas und Hisbollah sorgt im Nahen Osten für Glückseligkeit und Witze. Wir könnten uns darüber erheben – wenn da nicht Angela Merkel wäre. Es wurde wieder viel gestorben in dieser Woche, meist unfreiwillig, und nur zu einem Bruchteil auf unnatürliche Art. Jedenfalls in friedlichen Ländern wie Deutschland. In Kriegsgegenden
Von Osama bin Laden bis Hanija: Darf man den Tod von Terroristen bejubeln?

Die Tötung mehrerer führender Köpfe von Hamas und Hisbollah sorgt im Nahen Osten für Glückseligkeit und Witze. Wir könnten uns darüber erheben – wenn da nicht Angela Merkel wäre.

Es wurde wieder viel gestorben in dieser Woche, meist unfreiwillig, und nur zu einem Bruchteil auf unnatürliche Art. Jedenfalls in friedlichen Ländern wie Deutschland. In Kriegsgegenden ist dieses Verhältnis reichlich umgedreht: In der Ukraine etwa sind knapp 12.000 Zivilisten seit Kriegsausbruch ums Leben gekommen und Zigtausende Soldaten.

787e2a4f6f57520a0a5221341f0f6841.jpg
Politik 01.08.24

Irans möglicher Gegenschlag „Hisbollah-Raketen können jeden Ort in Israel erreichen”

Und dann gibt es die Zwischengegenden. Da herrscht eigentlich kein Krieg – bis für den Sekundenbruchteil eines Sprengstoffknalls plötzlich doch Krieg ist: Am Mittwoch explodierte ein angeblich Monate zuvor platzierter Hightech-Sprengsatz in einem Gästehaus in Teheran, als sich dort vermutlich gerade Hamas-Führer Ismail Hanija die Nasenhaare zupfte.

Die Reaktionen auf diese Tötung sind, wie in diesem Zusammenhang zu erwarten, weltweit sehr unterschiedlich. Der eine oder die andere wird vermutlich traurig sein, auch ein Hanija hat ja Menschen, die ihn lieben. Seine drei Söhne und drei Enkelkinder haben dieses Problem nicht mehr, sie wurden schon im April dieses Jahres getötet.

Alle anderen müssen sich nun die schwierige Frage stellen: Darf man sich darüber freuen, dass dieser Mann in die Luft gesprengt wurde? Es gibt darauf eine einfache, pazifistische, vermeintlich rationale, aber falsche Antwort: Hanija zu töten beschleunige die „Spirale der Gewalt” im Nahen Osten und werde, so las man es verschiedentlich, die Verhandlungen mit der Hamas über die verbleibenden israelischen Geiseln erschweren. Ob Letzteres stimmt, ist nicht unumstritten, denn angeblich war Hanija gegen jeden Deal. Insofern könnte seine Sprengung sogar den Weg für eine Vereinbarung frei gemacht haben.

440538007.jpg
Politik 31.07.24

Gezielte Tötungen Hamas-Führer leben und sterben im Visier Israels

„Persian Kebab” – haha?

Aber der Pazifismus schlägt sich nicht mit solchen Fragen herum. Er ist vielen Menschen so zugänglich, weil er komplizierte Fragen immer supereasy beantworten kann: Schuld hat immer derjenige, der zuletzt geschossen, gesprengt oder sonst wie getötet hat. Denn töten ist bekanntlich falsch. Nach dieser Logik ist auch die Unterstützung der Ukraine „Kriegstreiberei”, ebenso die „Kriegstüchtigkeit” der Bundeswehr oder die Stationierung von Mittelstreckenraketen.

Im Pazifismus gibt es keine Ursachen, jeder Zusammenhang ist genau einen Akt lang. Es gibt so gesehen keine Aggressoren, keine Gewalt, es gibt interessanterweise auch keine anderen Tötungen – außer eben immer genau die letzte, falsche. Der strafende Blick wandert zum letzten rauchenden Mündungsrohr.

470435143.jpg
Politik 02.08.24

Beileid für Hamas-Mann blockiert Türkei sperrt nach Zensur-Vorwurf Instagram

Ist man kein Pazifist, wird die Frage nach der legitimen Todesfreude schwieriger. Die erbitterten Feinde eines Gesprengten freuen sich natürlich meist, mal lautstark und grell, mal subtil. Im Fall Hanija etwa zeigte eine Schauspielerin der Serie „Teheran” (Apple TV) über Mossad-Agenten im Iran ein Selfie-Video, auf dem sie leicht lächelt und in die Kamera zwinkert. Andere posten Witzebilder, etwa die Köpfe von Hamas-Führern auf Hack-Würstchen – „Persian Kebab”. Hm. Haha?

El Hotzo durfte sich nicht freuen

Es ist ein bekanntes Phänomen. Als der iranische Präsident Ebrahim Raisi im Mai mit einem Helikopter abstürzte, kamen seine Gegner aus dem Lachen gar nicht mehr heraus und tanzten, Staatstrauer hin oder her, auf den Straßen. Und die größte Witz- und Hämeflut des modernen Internets produzierte vermutlich der ebenfalls im Helikopter abgestürzte russische Anführer der „Wagner”-Gruppe, Jewgeni Prigoschin.

406136005.jpg
Panorama 16.07.24

Überleben nach Attentat bedauert RBB setzt „El Hotzo” nach Trump-Post vor die Tür

Nicht freuen durfte sich ein deutscher Comedian über den Tod von Faschisten, wenn damit der künftige bekennende Ein-Tages-Diktator Donald Trump gemeint ist. Sebastian „El Hotzo” Hotz verlor über seine Todesfreude einen Job beim RBB. Nach dem Attentat auf den früheren US-Präsidenten hatte er, noch humoristisch eingekleidet, „leider knapp verpasst” gepostet und dann mit „Ich finde es absolut fantastisch, wenn Faschisten sterben” nachgesetzt.

Danach wurde global über El Hotzo debattiert. Der sonst so freiheitsliebende Milliardär und Trump-Fan Elon Musk wandte sich sogar an den Bundeskanzler – ganz so, als wäre Olaf Scholz und nicht Musk der Hausmeister im Höllenloch X, das einmal Twitter war.

Angela Merkels überraschende Freude

Die Todesfreude ist aber nicht schuld der sozialen Medien, wie sonst ja praktisch alles. Als etwa der irakische Diktator Saddam Hussein am 30. Dezember 2006 erhängt wurde, tanzten schiitische Iraker vor Freude auf der Straße. Westliche Regierungen nahmen den Tod zur Kenntnis, grummelten aber ein bisschen wegen der Todesstrafe.

Hamas_Proteste.JPG
01:41 min
Politik 01.08.24

Türkei, Jordanien, Tunesien, Iran Wut über Tod von Hamas-Führer entlädt sich in Protesten

Auch am Internet liegt es nicht: Nach der Französischen Revolution spießte man adelige Köpfe auf Heugabeln und trug sie durch eine jubelnde Menge und als, etwas ziviler, wiederum der Revolutionär Maximilien de Robespierre guillotiniert wurde, war die Stimmung ebenfalls ganz famos, wie man so hört.

Über all diesen Totenjubel könnte man sich als guter Deutscher leicht erheben. Aber, ach, auch wir haben da ja ein dunkles Kapitel. Geraten wir persönlich ins Visier, können wir auch anders: Als im Jahr 2011 der Al-Quaida-Chef Osama Bin Laden in Nordpakistan erschossen wurde, sagte die damals amtierende Bundeskanzlerin und evangelische Christin Angela Merkel: „Ich freue mich darüber, dass es gelungen ist, Bin Laden zu töten.”

Kebap-Würstchen mit extra Scharf

Mehr zum Thema
Video

„Gast in unserem Haus ermordet” Irans Chamenei kündigt „harte Bestrafung” Israels an

So schnell verwandelt sich das Gemüt dieser Frau, das so milde zu sein scheint wie ihre pommersche Kartoffelsuppe, über Nacht in ein Kebap-Würstchen mit extra Scharf. Heftig debattierte Deutschland damals über das Sich-freuen-dürfen. Das Pro und Contra hielt sich, wenn man die „Bild”-Zeitung (mit unter anderem dem heutigen RTL-Politik-Chef Nikolaus Blome) einmal zum Maßstab nimmt, offenbar die Waage.

Todesjubel ist also eine Perspektivfrage. Freude über Tötungen ist schlecht, solange man nicht selbst ins Visier jener gerät, die gerade gesprengt oder erschossen werden. Die Hamas ist schließlich meist nicht unser Problem, wir sind da nur Zuschauer. Vielleicht verstehen wir die israelischen Witze deshalb nicht so ganz.

Warten wir einmal ab, was die Deutschen sagen, falls Wladimir Putin einmal in den falschen Hubschrauber steigt. Autoren für ein Pro und Contra ließen sich dann wohl leicht finden.

Total
0
Shares
Dodaj komentarz

Twój adres e-mail nie zostanie opublikowany. Wymagane pola są oznaczone *

Related Posts
Krebsgefahr bleibt: HPV-Impfung wird zu selten genutzt
Read More

Krebsgefahr bleibt: HPV-Impfung wird zu selten genutzt

Eine Ansteckung mit Humanen Papillomviren kann Krebs auslösen. Doch es gibt einen Impfstoff, der schützt. Leider lassen sich nicht genug Mädchen und Jungen impfen, sodass die Risiken für Gebärmutterhals-, Penis- und Analkrebs sowie Krebs im Mund-Rachen-Bereich bleiben. Aber warum ist das so? Humane Papillomviren (HPV) gehören weltweit zu den häufigsten sexuell übertragenen Infektionen. Fast jeder
Großeinatz im Mühltal: Auto überschlägt sich, Straße eine Stunde gesperrt
Read More

Großeinatz im Mühltal: Auto überschlägt sich, Straße eine Stunde gesperrt

Startseite Lokales Starnberg Gauting Großeinatz im Mühltal: Auto überschlägt sich, Straße eine Stunde gesperrt Stand: 03.12.2024, 06:00 Uhr Von: Volker Ufertinger Kommentare Drucken Teilen Unverletzt blieb der Fahrer des im Mühltal verunglückten E-Autos. Weil ein E-Call des Autos an die Leitstelle Fürstenfeldbruck einen schweren Unfall mit mehreren eingeklemmten Personen gemeldet hatte, rückte ein Großaufgebot aus.