Spaniens Strände schrumpfen: Die ersten könnten schon bald verschwunden sein
Wissenschaftliche Studien zeichnen ein düsteres Bild: Bis Ende des Jahrhunderts könnte die Hälfte der Sand-Strände weltweit verschwunden sein. Betroffen ist vor allem auch die Küste von Valencia.
Valencia – „Dass es Sandstrände gibt, ist keine Selbstverständlichkeit.“ So steht es in der Studie „Sandküsten von Erosion bedroht“, die 2020 in der britischen Fachzeitschrift Nature Climate Change erschien. Und weiter: „Unter den derzeitigen Bedingungen durch den Klimawandel und den Anstieg des Meeresspiegels wird die Hälfte der weltweiten Sandstrände bis zum Ende des Jahrhunderts verschwunden sein.“ In Europa erodieren die Küsten auf einer Länge von etwa 20.000 Kilometer, drei Viertel davon verlieren pro Jahr zwei Meter, in Ausnahmefällen sogar bis zu zehn Meter, der Rest wird künstlich stabilisiert, so geht aus dem Bericht „Erosion von Europas Küste im Klimawandel“ hervor, der auf der Plattform Climate Change Post veröffentlicht wurde.
Spaniens Strände schwinden: Menschenketten für den Küstenschutz
In Spanien sind 70 Prozent der Strände vom Aussterben bedroht, warnt die Plattform Somos Mediterrania, die sich dem Schutz der Strände verschrieben hat und die sich aus mehr als 50 Vereinigungen von Valencia über Murcia bis Andalusien zusammensetzt. Um auf das Problem aufmerksam zu machen, rief die Plattform im Juli Strandbesucher auf, sich am Ufer an die Hände zu fassen und eine Kette zu bilden.
„Die Initiative war ein voller Erfolg“, sagt Javier Cremades, Sprecher von Somos Mediterrania und Präsident der Vereinigung in Gandía „Salvem les Platges al sud de Gandia“ in Valencia. „Wir schätzen, dass es an insgesamt 50 Stränden Menschenketten gab, allein in Valencia waren es 30“, sagt Cremades. Wieviel Leute genau mitgemacht haben, könne er unmöglich sagen. „Hier in Gandía hat sich eine sieben Kilometer lange Menschenkette gebildet. Wenn man einen Meter pro Person rechnet, kommt man auf 7.000.“ Menschenketten bildeten sich unter anderem auch an den Stränden Les Deveses-Basot und Blay Beach im Küstengebiet Les Marines in Dénia, an der Playa de Babilonia in Guardamar del Segura oder in Cabo de Palos an der Küste von Cartagena in der Region Murcia.
Erosion an Spaniens Küste: Die ersten Strände könnten in zehn Jahren verschwunden sein
Die Umweltorganisation Greenpeace schlägt in ihrer neuesten Studie „Crisis a toda costa“ Alarm – ein Wortspiel, das „Krise um jeden Preis“ und „Krise an der ganzen Küste“ bedeuten kann, berichtet costanachrichten.com. „Spaniens Küste läuft Gefahr, schon in den nächsten zehn Jahren Strände zu verlieren.“ Die Organisation verweist auf die so genannte Bruun-Regel, eine einfache Formel, nach der jeder Zentimeter, um den der Meeresspiegel ansteigt, die Küste um einen Meter schrumpfen lässt – mit schwerwiegenden Auswirkungen.
In Valencia sind in den letzten zehn Jahren bereits 65 Prozent der Strände schmaler geworden. Bis 2030 wird der Meeresspiegel im Golf von Valencia um zwölf Zentimeter steigen und die Strände zwölf Meter an Breite verlieren, heißt es in dem Greenpeace-Bericht. Betroffen sind unter anderem Gandía, der Naturpark Marjal de Pego-Oliva, Santa Pola und Torrevieja. Als am stärksten durch Stürme gefährdete Küstenabschnitte gelten Guardamar, Santa Pola, El Pinet in Elche, die Strände San Juan und Muchavista in Alicante sowie das Gebiet von Les Marines und Les Deveses in Dénia. Allein zwischen 2016 und 2020 wurden rund 60 Millionen Euro ausgegeben, um die Strände von Valencia künstlich mit Sand aufzufüllen.
Spaniens Strände: So sieht ein intaktes Ökosystem an der Küste aus
In der Nachbarregion Murcia drohen folgende Küstenabschnitte an Land zu verlieren: Portmán, Gorguel bis La Azohía in Cartagena, San Pedro del Pinatar, Puerto de Mazarrón, Calnegre in Lorca sowie Calabardina und Águilas. 17 Prozent der Häuser in der Region befinden sich in Überschwemmungsgebieten, allein in Cartagena sind mehr als 15.000 Immobilien gefährdet. Das ist spanienweit Spitze. In Andalusien sind vor allem Málaga und der Golf von Cádiz von Erosion betroffen.
Strände sind dynamische Systeme. Im Winter tragen die großen Wellen Sand ab, wie die Professorin für Physik an der Universität der Balearen, Marta Marcos, der „ Zeitung El Pais“ erklärt. Im Sommer bringen die kleinen, aber konstanten Wellen den Sand dann wieder zurück. Dünensysteme dienen dabei als Sandreserven und Flüsse als Lebensmittellieferanten, indem sie Sedimente an die Küsten transportieren, die von den Seegraswiesen festgehalten werden. Natürliche Sandbänke schwächen die Kraft der Wellen ab. So sieht ein intaktes Ökosystem im Gleichgewicht aus.
Wo ist der Sand geblieben? 97 Prozent bleibt in den Flüssen stecken
Selbst dem ansteigenden Meeresspiegel, Stürmen und Unwettern könnten die Strände stand halten, wenn sie genügend Platz hätten. Haben sie aber nicht an der intensiv bebauten spanischen Mittelmeerküste. Hotels, Strandpromenaden, Feriensiedlungen stehen ihnen im Weg. Auch Häfen, Staudämme und Wellenbrecher stören den natürlichen Sandtransport, so dass manche Strände leer ausgehen, während sich der Sand an anderen Stellen ansammelt.
„Hier an der Mittelmeerküste kommen die Strömungen bei Stürmen aus dem Norden und transportieren den Sand nach Süden“, erklärt Javier Cremades von Somos Mediterrania. „Trifft die Strömung auf ein Hindernis, häuft sich der Sand an der Nordseite an, während die Südseite erodiert.“ Das Gleichgewicht ist dahin.
Ein weiteres Problem: „Es gibt fast keinen Sand mehr.“ 97 Prozent der Sedimente, die eigentlich die Strände erreichen sollten, bleiben in den Flüssen stecken. Schuld seien die 1.245 Stauanlagen, die in den letzten 80 Jahren gebaut wurden. „Spanien ist das Land mit den meisten Stauseen in Europa. Allein im Flussdelta des Río Ebro wurden 250 gebaut, die notwendig waren, um aus dem spanischen Trockenland den Gemüsegarten Europas zu machen“, sagt Javier Cremades.
Demonstration zum Schutz der Küste: Ein Beispiel aus den USA
Dass die Strände nicht mehr mit Sand gefüttert werden, ist das eine Problem. Das andere: „Dadurch, dass sich der Sand in den Flüssen sammelt, werden sie immer flacher und verlieren an Fassungsvermögen“, erklärt Cremades. „Das ist nicht fair gegenüber zukünftigen Generationen, wenn in 50 oder 100 Jahren das Wasser ausgeht.“ Häfen und Stauseen seien notwendig, daran bestehe kein Zweifel. „Die Aktivitäten kurbeln die Wirtschaft an, sorgen für Einnahmen, aber sie tragen nichts dazu bei, um die Schäden, die sie verursachen, zu minimieren.“ Die großen Energiekonzerne, die die Stauseen verwalteten, hätten einen Konzessionsvertrag über 70 oder 60 Jahre, in dem kein Wort darüber stehe, dass sie die Sedimente entfernen müssten.
Wie es anders gehen kann, würden die USA zeigen. „Die Häfen dort sind verpflichtet, einmal im Jahr den Sand, der sich auf einer Seite angesammelt hat, abzutragen und auf die andere Seite zu verschieben.“ Es sei auch möglich, den Sand aus den Flüssen an die Strände zu bringen, meint Javier Cremades. „Was ist teurer?“, fragt er. „Die Strände verschwinden zu lassen oder das Sediment zu entfernen?“ Die Frage ist rhetorisch, denn ohne Strände würde eines der wichtigsten wirtschaftlichen Standbeine Spaniens, der Tourismus, einbrechen.
Erosion an Spaniens Strände: Künstliche Riffe als Lösung
Es gibt Lösungen, da ist sich Javier Cremades sicher. Somos Mediterrania setzt auf Technik und Natur nach dem Motto, was die Natur nicht schafft, erledigen wir für sie, zum Beispiel durch künstliche Riffe, die die Energie von Wellen bremsen und Sand zurückhalten, der sonst von der Strömung mitgerissen würde. „Dabei handelt es sich um acht Meter hohe Konstruktionen aus ökologischem Beton, die sich 170 bis 180 Meter vom Ufer entfernt im Meer befindet. An dem Riff können sich Korallen und andere Meereslebewesen ansiedeln.“
Keine Lösung sind Wellenbrecher, die oft von Anwohnern gefordert werden, die ihre Strände schwinden sehen. „Dämme sind Geldverschwendung“, sagt Jorge Olcina, Direktor des Klimalabors an der Universität Alicante, „weil sie gegen den Anstieg des Meeresspiegels und den Auswirkungen von Stürmen nichts bewirken können.“
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