Russland und Westen tauschen 26 Personen aus: Heikler Tauschhandel mit Konsequenzen für die Zukunft?
Der Austausch der Gefangenen ist humanitär gerechtfertigt. Doch im schlimmsten Fall kann er zu politischer Geiselnahme ermutigen. Der Leitartikel
Frankfurt – Darf ein Land hinnehmen, dass ein politisch motivierter Mörder nach wenigen Jahren davonkommt und in der Heimat für sein Tun sogar geehrt wird? Natürlich nicht. Darf ein Land umgekehrt zulassen, dass zu Unrecht eingesperrte Menschen jahrelang im Gefängnis bleiben, vielleicht sogar unter Androhung der Todesstrafe? Erst recht nicht.
Das Dilemma eines Gefangenenaustauschs liegt auf der Hand. Es ist nicht aufzulösen, ohne Kompromisse einzugehen, die sich eigentlich verbieten. Der Preis ist immens hoch. Der Gewinn allerdings auch. Beides ist kaum gegeneinander aufzuwiegen. Und doch mussten Deutschland und die USA bei ihrem Abkommen mit Russland genau diese Rechnung aufmachen. Sie entschieden sich für ein Geschäft mit menschlichen Schicksalen.
Gefangenentausch in Ankara: Russland und Westen tauschen 26 Personen aus
Freigekommen sind 13 Männer und drei Frauen, die allein aus politischen Gründen festgehalten worden waren – darunter der russische Journalist und Menschenrechtler Wladimir Kara-Mursa, der bereits zwei mutmaßliche Giftanschlägen überlebt hatte. Aus humanitären Gründen war es geboten, dass sich Deutschland, die USA und andere beteiligte Länder energisch für die Freilassung dieser Menschen eingesetzt haben. Aber auch als deutliches Zeichen, dass westliche Staaten den mutigen Einsatz für Freiheit, Menschenrechte und Demokratie würdigen, wenn es schwierig wird.
Für einen kam der Austausch zu spät: Alexander Nawalny, der unerschrockene russische Oppositionelle, ist im Februar in der Haft zu Tode gekommen. Ursprünglich sollte wohl auch er Teil eines Austauschs werden. Immerhin profitieren nun zwei seiner Mitarbeiterinnen und ein Mitarbeiter von dem Deal.
So erfreulich, wie diese Ergebnisse sind, so erschreckend ist die Schattenseite des Tauschhandels. Das Abkommen ermöglicht es Russlands Herrscher Wladimir Putin, damit zu prahlen, dass der „Tiergartenmörder“ Wadim Krassikow im Auftrag seines Geheimdienstes unterwegs war und auf deutschem Boden töten konnte. Es ist bitter, dass das Urteil eines deutschen Gerichts – nämlich lebenslange Haft – nun von der Bundesregierung konterkariert wird.
Moskau lässt politische Gefangene frei – im Gegenzug für russische Agenten
Viel gravierender sind aber die langfristigen Folgen eines solchen Deals. Nicht nur Russland, auch andere diktatorische und autokratische Regime dürften sich ermutigt fühlen, noch mehr Menschen unter fadenscheinigen Vorwänden zu inhaftieren. Das Erpressungspotenzial ist enorm – auch das zeigt der aktuelle Gefangenenaustausch.
Bei den Älteren werden Erinnerungen wach an den Agentenaustausch an der Glienicker Brücke in Berlin zu Zeiten des Kalten Kriegs. Es gibt allerdings einen zentralen Unterschied: Seinerzeit ging es in den meisten Fällen tatsächlich um Agenten und Agentinnen auf beiden Seiten. Beim aktuellen Tausch aber spricht nichts dafür, dass die Spionage-Vorwürfe von Russland und Belarus berechtigt gewesen sein könnten.
Trotz aller Bedenken stehen die Politikerinnen und Politiker, die dieses Abkommen zuwege gebracht haben, in einem günstigen Licht da. Der oft zaudernde Bundeskanzler Olaf Scholz kann als handlungsstarker Akteur auf der internationalen Bühne glänzen, da ihm US-Präsident Joe Biden einen erheblichen Anteil an dieser „Meisterleistung der Diplomatie“ zubilligt. Im eigenen Land hat Scholz Oppositionsführer Friedrich Merz eingebunden – und muss sich nur ärgern, weil Finanzminister Christian Lindner (FDP) mit schlechten Nachrichten zum Haushalt die positive Botschaft überschattet.
Heikler Tauschdeal: Biden präsentiert sich als „Dealmaker“
Biden wiederum kann den US-Bürgerinnen und -Bürgern beweisen, dass er kein seniler Greis ist, sondern dazu fähig, zwei US-Bürger und eine US-Bürgerin aus der Gewalt Putins zu befreien. Ein „Dealmaker“ – genau das Profil, das sein republikanischer Widersacher Donald Trump nur für sich gelten lässt. Kein Wunder, dass Trump mal wieder tobt.
Auf der anderen Seite kann sich aber auch Putin erneut als starker Mann inszenieren, der dem Westen seine Bedingungen aufzwingen konnte – sogar die Freilassung eines in Deutschland inhaftierten Mörders. Schon redet Russlands Regierung über mögliche weitere Abkommen zum Gefangenenaustausch.
Der heikle Deal war in dieser Situation trotzdem richtig. Doch man muss sich klarmachen, dass er eigentlich nie notwendig hätte werden dürfen. Die betroffenen Ausländerinnen und Ausländern sowie inländischen Regimekritikerinnen und -kritiker hätten niemals in Russland eingesperrt werden dürfen, ebenso wenig wie Nawalny.
Es kommt darauf an, dass die internationale Gemeinschaft juristisch getarnte Geiselnahmen jedes Mal ächtet und mit Konsequenzen reagiert. Nur dann lässt sich womöglich verhindern, was nun zu befürchten ist: dass der Gefangenenaustausch in noch größerem Maßstab zu einem Geschäftsmodell für Diktaturen wird.
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