Olympische Spiele: Riesen-„Alien” Victor Wembanyama schultert Frankreichs Hoffnungen alleine

Victor Wembanyama ist 20 Jahre alt und absolviert seine ersten Olympischen Spiele. Die Franzosen stecken zwischen den Generationen fest. Dennoch ruhen alle Medaillenträume dieser „Equipe Tricolore” einzig und allein auf dem unvergleichlichen Basketball-Alien. Ist das fair? „Es ist ein Traum, bei den Olympischen Spielen zu sein. Die Emotionen sind überwältigend.” Victor Wembanyama war zu Beginn
Olympische Spiele: Riesen-„Alien” Victor Wembanyama schultert Frankreichs Hoffnungen alleine

Victor Wembanyama ist 20 Jahre alt und absolviert seine ersten Olympischen Spiele. Die Franzosen stecken zwischen den Generationen fest. Dennoch ruhen alle Medaillenträume dieser „Equipe Tricolore” einzig und allein auf dem unvergleichlichen Basketball-Alien. Ist das fair?

„Es ist ein Traum, bei den Olympischen Spielen zu sein. Die Emotionen sind überwältigend.” Victor Wembanyama war zu Beginn seiner ersten Teilnahme, die obendrein in seinem Heimatland Frankreich und seiner Geburtsstadt Paris stattfindet, sichtlich bewegt. Frankreich erwartet viel von seinen Sportlerinnen und Sportlern. Vor allem im Basketball. Das kann auch die coolsten Jungprofis, wie Wembanyama einer ist, schon mal innig zum Nachdenken bewegen. Aber wer will ihm das verübeln, diesem überweltlichen, surreal anmutenden Spieler, der im Januar seinen 20. Geburtstag feierte und bereits als Rookie in der NBA Rekorde am Fließband brach. Wie er mental auf Schwierigkeiten und Widrigkeiten antwortet, ist genauso bemerkenswert wie sein Skillset.

olympiahaus.JPG
01:38 min
Sport 30.07.24

Familie, Freunde, Public Viewing So entspannen Olympioniken zwischen Wettkämpfen

Das „Alien” wird „Wemby” nur genannt. Seine Fähigkeiten auf dem Parkett, seine Beweglichkeit, Grazie und Effektivität, trotz 2,24 Metern Körpergröße und 2,45-Meter-Spannweite, all das wirkt fantastisch, manchmal ein wenig übernatürlich. Seinem Heimatland soll das Ausnahmetalent mindestens zu einem ähnlich erfolgreichen Turnier verhelfen wie vor drei Jahren in Tokio, als die Franzosen die USA mit einem 83:76 -Sieg in der Vorrunde schockten und am Ende die Silbermedaille gewannen.

Problem: Das Team um ihn herum scheint nicht ganz für die hohen Ziele gemacht. Das Spacing ist suboptimal, die Feinabstimmung noch nicht da, die Zeit ohnehin nicht aufseiten der Franzosen. „Er kann so viele Sachen offensiv, dass es ihm manchmal schwerfällt, in seiner Position zu bleiben.” Mit diesen Worten über „Wemby” überraschte Evan Fournier die Beobachter vor wenigen Tagen, gab jedoch auch uneingeschränkt zu, wo derzeit die größte Herausforderung liegt: „Wir haben erst ein paar Wochen mit Vic gespielt, also versuchen wir, ihn näher am Korb und in guten Matchups zu finden. Wir wollen ihm helfen, unsere Sorte Basketball zu spielen.”

Ungeschlagen trotz Problemen – und dank Wemby

Alle Protagonisten und nicht zuletzt Headcoach Vincent Collet hoffen, dass die kollektive Anspannung und die Probleme zu Turnierbeginn zunehmender Synergien und spielerischer Formsteigerung weichen werden. „Wir brauchen Wemby nahe am Korb. Dort kann er jedes Mal dominieren. Aber er kann nicht alleine gewinnen. Wir müssen alle involvieren. Wir können nicht gut werden, wenn wir diese Chemie nicht finden.”

Das laute Aufatmen in Lille, es war das kollektive Durchschnaufen der gesamten „Grande Nation” nach bisher 85 dauerangespannten Minuten. Zwei Mal steckte Frankreich in Schwierigkeiten, zwei Mal reichte es dennoch zum Sieg. Bereits in Spiel eins war Brasilien drauf und dran, die Party zu vermiesen und die Laune der Gastgeber zu ruinieren. Die Nerven bei knapp 27.000 Anhängern im ausverkauften Pierre Mauroy Stadion lagen lange blank. Dann hatte Wembanyama genug. Drei Dunks in einem dominanten zweiten Viertel und erstickende Defense halfen nicht nur, einen frühen zweistelligen Rückstand wettzumachen, sondern powerten die Hausherren zum erleichternden 78:66-Auftaktsieg.

Die Fans: aus dem Häuschen. Jede Aktion von Wembanyama wurde mit „Aahs” und „Oohs” begleitet. Der Youngster war mit 19 Punkten, 9 Rebounds, 4 Steals und 3 Blocks Topscorer und Mann des Spiels bei seinem Olympia-Debüt. Seit 1972 hat nur ein anderer Akteur unter 21 Jahren jemals mindestens 18 Punkte und 8 Rebounds in seinem ersten Olympia-Einsatz geschafft: Drazen Petrovic, 1984 für Jugoslawien gegen Deutschland.

„Manchmal ist Gott auf deiner Seite”

Auch in Spiel zwei gegen Japan war Wembanyama der beste Punktesammler und produktivste Akteur seines Teams: 18 Punkte, 11 Rebounds, 6 Assists, 2 Steals und 2 Blocks steuerte der Big Man zum Overtime-Sieg bei. Um ein Haar wäre die „Equipe Tricolore” ins Tal der Tränen gestürzt: Japan führte kurz vor Schluss, 84:80, ehe Matthew Strazel mit dem Dreier seines Lebens und einem anschließenden Freiwurf für den Ausgleich sorgte – ein übernatürliches Four-Point-Play, zwölf Sekunden vor dem Ende der regulären Spielzeit.

„Manchmal ist Gott auf deiner Seite”, sagte Nic Batum später. „Er war der Mann des Spiels, er hat uns gerettet”, gab ein sichtlich erleichterter Collet zu. „Es war der Wurf seines Lebens, und ich schätze mich glücklich, dass ich das live erleben durfte”, lächelte Wembanyama nach der Partie. Strazel erzielte insgesamt 17 Punkte beim 94:90-Sieg nach Verlängerung. In der Overtime drehte dann wieder Wemby auf, legte mit einem Three-Point-Play, einem Dreier und zwei Freiwürfen einen persönlichen 8:0-Lauf hin und ebnete damit den Weg zum zweiten Sieg im zweiten Spiel. Seine emotionale Reaktion nach dem Dreier verdeutlichte, wie groß die Anspannung ist – und der Stein, der kollektiv vom Herzen fiel.

In Frankreich wird Wembanyama behandelt wie ein Messias. Die Vergötterung ist immens, die Erwartungshaltung aber ebenso. Überall hängt sein Konterfei, laufen Fans mit seinem Trikot herum, reißen sich Fans und Medien darum, einen Blick, eine Stimme, einen Moment des Wunderknaben zu erhaschen. Ist es fair, von einem Olympia-Debütanten derartig große Dinge zu erwarten? Der erst 20-Jährige muss die Basketball-Hoffnungen der Grande Nation scheinbar alleine auf seinen Schultern tragen.

„Zum ersten Mal in seiner Karriere gestresst gesehen”

„Ich habe ihn zum ersten Mal in seiner Karriere gestresst gesehen”, sagte Collet vor Kurzem. „Drei Tage vor dem Auftakt konnte ich es spüren, also haben wir alle mit ihm gesprochen. Hier in Frankreich haben sie alle so lange auf ihn gewartet. Sie vergleichen ihn mit Michael Jordan. Aber er braucht Zeit.” Batum und Collet, die seit knapp 20 Jahren zusammenarbeiten, haben ihren Fokus vor allem darauf gelegt, Wemby als Fixpunkt des französischen Spiels zu etablieren. „Ich mag es, wie sie mich einbinden wollen. Ich kommuniziere viel. Wir sind alle nur aus einem Grund hier.”

„Es ist so einfach, mit ihm zu spielen”, erklärt Batum, der Anführer und Kapitän dieser Mannschaft. „Er ist riesig, und er weiß einfach, wie das Spiel funktioniert. Ich habe mit vielen großartigen Spielern gespielt, aber er hat trotz seines Alters so einen hohen IQ, das macht es so unglaublich leicht. Er ist so gut, der Gegner konzentriert sich immer auf ihn, also suche ich ihn in den besten Situationen, um unser Spiel über ihn aufzuziehen.”

Dass diese Strategie nicht immer aufgeht, ist die Hauptgefahr im Spiel der Franzosen, denen es vor allem im Angriff an Optionen und Kreativität mangelt. Defensiv ist die „Equipe Tricolore” vor allem dank Wembanyama und dem mehrfachen Verteidigungsspieler des Jahres in der NBA, Rudy Gobert, nur schwer zu knacken. Auch Batum zählt auf dem Flügel trotz seines hohen Alters zu den Elite-Abwehrspielern dieser Welt. Basketball im Jahr 2024 wird aber vor allem in der Offensive gewonnen. Und da sieht es eben recht dünn aus für „Les Bleus”.

Gefangen zwischen den Generationen

Mit Wembanyama (San Antonio Spurs), Gobert (Minnesota Timberwolves), Batum (Los Angeles Clippers) und Bilal Coulibaly (Washington Wizards) verfügen die Franzosen über vier aktive NBA-Spieler. Fournier, Guershon Yabusele, Frank Ntilikina und Nando DeColo haben ebenfalls schon in der besten Liga der Welt gespielt. Bei aller Qualität, die nach wie vor in diesem Kader steckt: Die goldene Nationalmannschafts-Zeit ist längst passé. Das Talent, das aus Frankreich in den vergangenen Jahren in die Welt geschwappt ist, konnte noch nicht auf den internationalen Wettbewerb übertragen werden.

In diesem Jahr waren die Top-2 und drei der in den Top-6 selektierten NBA-Rookies Franzosen (Zaccharie Risacher, Alex Sarr und Tidjane Salaün). 2023 wurden Wembanyma (1. Pick) und Coulibaly (7. Pick) hoch gedraftet. Für 2025 gilt Nolan Traoré als eines der Top-Talente und sicherer Lotterie-Pick. Bis all diese Youngster jedoch ihr Potenzial ausschöpfen können, wird es noch ein Weilchen dauern. Solange steckt die Equipe zwischen den Generationen fest – und in einer kleinen Identitätskrise.

Mehr zum Thema

Wembanyama ist als Dreh- und Angelpunkt noch nicht etabliert. Trainerstab und Protagonisten sind in die Jahre gekommen. Und trotz der beneidenswerten Stärken im Frontcourt und in der Defensive klaffen auf dem Flügel und vor allem auf den Guard-Positionen eklatante Lücken, die eines echten Spitzenteams nicht zuträglich sind. Die Offensive wirkt oft krampfhaft, es fehlt an Organisation und verlässlichen Scoring-Optionen. Fournier und Nando DeColo waren nie lupenreine Point Guards; Ntilikina und Andrew Albicy sind nicht ansatzweise auf internationalem Top-Niveau. Strazel ist erst 21 Jahre alt. DeColo (37) und Batum (35), aber auch Gobert (32) und Fournier (31) sind in die Jahre gekommen. Drei Medaillen in Folge (Bronze bei der WM 2019, jeweils Silber in Tokyo 2021 und bei der Eurobasket 2022) haben natürlich Begehrlichkeiten auf mehr geweckt – vor allem bei Olympia, im eigenen Land, vor rekordträchtiger Kulisse.

Viele scheinen jedoch verdrängt zu haben, wie katastrophal die WM im Vorjahr verlief, als Frankreich nach zwei Niederlagen gegen Kanada und Lettland bereits nach drei Tagen aus dem Turnier geflogen war. Am Ende stand ein peinlicher 18. Platz. Damals war aber Wembanyama noch nicht mit von der Partie. Seine Präsenz und individuelle Extraklasse alleine machen bereits den Unterschied. Spiele wie gegen Brasilien oder Japan in den vergangenen Tagen hätte dieses Team vor einem Jahr noch mit ziemlicher Sicherheit verloren. Wemby lässt Frankreich träumen. Und gibt den Hausherren in jedem Spiel eine Chance. Gegen Deutschland, im Kampf um den Gruppensieg am Freitag. Und auch in der K.-o.-Phase, die ab kommender Woche in Paris startet. Collet hofft, dass sein Team bis dahin seine Optimalform erreichen kann. „Der Druck ist immens. Aber wir wollen diese Partien nutzen, um hoffentlich im Viertelfinale unseren besten Basketball zu spielen.”

Total
0
Shares
Dodaj komentarz

Twój adres e-mail nie zostanie opublikowany. Wymagane pola są oznaczone *

Related Posts
Kaufbeuren: Einbruch in Bahnhof-Gaststätte in der Silvesternacht
Read More

Kaufbeuren: Einbruch in Bahnhof-Gaststätte in der Silvesternacht

Startseite Bayern Augsburg & Schwaben Kreisbote Kaufbeuren Kaufbeuren: Einbruch in Bahnhof-Gaststätte in der Silvesternacht Stand: 02.01.2025, 13:52 Uhr Kommentare Drucken Teilen Am Kaufbeurer Bahnhof wurde in der Silvesternacht in eine Gaststäte eingebrochen. © Foto: Gattinger In der Silvesternacht gab es offenbar einen Einbruch in eine Gaststätte im Kaufbeurer Bahnhof. Das berichtet die Kripo, die nun Zeugen
Habeck verkündet: Ampel bringt neue Steuer-Rabatte für Elektroautos
Read More

Habeck verkündet: Ampel bringt neue Steuer-Rabatte für Elektroautos

Startseite Wirtschaft Habeck verkündet: Ampel bringt neue Steuer-Rabatte für Elektroautos Stand: 03.09.2024, 16:55 Uhr Von: Amy Walker Kommentare Drucken Teilen Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hat Steuererleichterungen für Elektroautos angekündigt. (Archivbild) © Jan Woitas/dpa Wirtschaftsminister Robert Habeck hat neue Steuererleichterungen für E-Autos verkündet. Diese sollen sogar noch in dieser Woche beraten werden. Berlin – Angesichts des schleppenden
Hitze endet mit Gewittern in Bayern: „Omega-Lage“ verstärkt Unwetter – Hier kracht es heute schon
Read More

Hitze endet mit Gewittern in Bayern: „Omega-Lage“ verstärkt Unwetter – Hier kracht es heute schon

Startseite Bayern Hitze endet mit Gewittern in Bayern: „Omega-Lage“ verstärkt Unwetter – Hier kracht es heute schon Stand: 30.08.2024, 10:29 Uhr Von: Tanja Kipke Kommentare Drucken Teilen Die anhaltende Hitzewelle im Freistaat hat bald ein Ende. In den nächsten Tagen entsteht eine „gefährliche Tiefdruckzone“, die Unwetter mit sich bringt. München – „Der Süden und die