Am Schluss geht es sang- und klanglos zu Ende: Rafael Nadal verliert sein letztes Match gegen einen Mittelklassespieler aus den Niederlanden. Eine große Reise durch die Tenniswelt ist vorbei, weil eine finale Heldengeschichte ausfällt.
Ein Niederländer, dessen Fußabdruck in der Geschichte des Tennis bisher klein war, machte sich in Malaga unsterblich. Außerhalb der oranjen Tennisblase wird man ihn allerdings kaum in guter Erinnerung behalten: Am Ende war Botic van de Zandschulp der Typ, der Bambi erschoss – und die epische Karriere von Rafael Nadal beendete. 6:4, 6:4 für den Niederländer, das sind die Zahlen. Aber Statistiken können natürlich nicht abbilden, was dem Tennis am 19. November im Palacio de Deportes Jose Maria Martin Carpena zustieß. Die Tränen, der Jubel und eine Menge Geld erzählen die Geschichte des Abends, der ganz anders hätte enden sollen. Nadal hatte die erste Partie im Viertelfinale des Davis-Cup-Duells seiner Spanier gegen die Niederlande verloren, die Tenniswelt – das war wenige Stunden später erst klar – endgültig einen ihrer Größten aller Zeiten.
Nadal hatte im Herbst das endgültige Ende seiner großen Karriere mit 22 Grand-Slam-Titeln verkündet – und seinen Abschied für die Davis-Cup-Woche avisiert. Seinen Körper hatte der Spanier in endlosen großen Duellen mit den ewigen Rivalen Roger Federer, Novak Djokovic oder Andy Murray zerschlissen, immer wieder hatte sich der „Stier von Manacor” in den vergangen Jahren in Grand-Slam-Form spritzen lassen, immer wieder hatte er den Schmerz wegtrainiert oder ihn ausgehaltenen. Am Ende ging es nicht mehr. Es überraschte niemanden, dass mit dem Leiden Schluss sein musste. Unzählige Stunden hatte sich Nadal daheim auf Mallorca in seiner eigenen Akademie gequält, um sich zumindest einen würdevollen Abschied auf Wettkampfniveau zu verdienen.
„Nicht der Typ sein, der Bambi erschoss”
Gegen Botic van de Zandschulp, die Nummer 80 der Weltrangliste, war Nadal, der einige der größten Matches der Tennisgeschichte produziert hatte, auf dem Court zwar zweifelsohne der Hauptdarsteller, er sorgte für die Emotionen und gab dem Duell seine Bedeutung – doch der Niederländer war der bessere Mann. Der Hüne spielte sein Match seriös runter, nur anfangs, als er mit drei Doppelfehlern ins erste Aufschlagspiel startete, war van de Zandschulp offenbar etwas angefasst von der Größe des Moments.
„Natürlich will man gegen seine Idole spielen. Aber man will auch nicht der Typ sein, der Bambi erschossen hat”, hatte der einstige Weltranglistenerste Andy Roddick seine Gefühle beschrieben, als er einst kurz davor war, die große Laufbahn von Andre Agassi beenden zu müssen. Diese bittere Aufgabe hatte dem US-Amerikaner bei den US Open 2006 überraschend der deutsche Außenseiter Benjamin Becker abgenommen. Hatte Botic van de Zandschulp zu Beginn solcherlei Gedanken, schüttelte er sie jedenfalls schnell ab: Unaufhaltsam eilte er dem bittersüßen Sieg entgegen.
Später sagte Nadal, er habe Teamchef David Ferrer jeden Druck genommen, ihn aufstellen zu müssen. Ferrer, einst selbst ein Weltklassespieler, tat es trotzdem. Gemeinsam hatten sie gemeinsam 2009 und 2011 den Davis Cup gewonnen, Seite an Seite. Nun wollte Ferrer das Märchen um seinen langjährigen Weggefährten offenbar erzwingen, denn natürlich stellte er den Superstar auf, der sich vor eigenem Publikum in ein neues Leben verabschieden wollte. 11.000 Menschen waren gekommen, die Arena war selbstredend ausverkauft. Auf dem Ticket-Zweitmarkt wurden Eintrittskarten für die Begegnung mit bis zu 150.000 Euro gehandelt. Niemand wollte – bei aller Wertschätzung – Pedro Martinez oder Roberto Bautista Agut gegen Botic van de Zandschulp sehen. Also durfte Nadal ran, der seit seinem Olympia-Aus gegen Novak Djokovic im August kein Wettkampfmatch mehr bestritten hatte.
Hoffen aufs Wunder
Doch im Drehbuch des Abends war keine Heldengeschichte vorgesehen. So recht konnte auch niemand mehr daran geglaubt haben, auch wenn wohl alle Tennisfans davon geträumt hatten. Von einem letzten großen Sieg Rafael Nadals. Bei den French Open, die er 14 Mal gewinnen konnte, quälte sich Nadal noch einmal auf den Court Philippe Chatrier, jene Arena, in der er zum Helden aufstieg – und unterlag chancenlos Alexander Zverev. Bei Olympia erspielte er sich noch ein letztes Giganten-Duell mit Novak Djokovic, doch auch dort, wieder in Paris, reichte es nicht für mehr als ein bisschen Hoffnung, noch einmal etwas Großes zu schaffen. In beiden Matches gewann Nadal zusammen keinen einzigen Satz mehr.
Nun kämpfte er in Malaga noch ein letztes Mal gegen das Ende, im zweiten Satz gelang ihm ein Break und er kreierte auch noch einmal ein paar große Momente, in denen man glauben konnte, er würde sich mal wieder über den Kampf und den unerschütterlichen Glauben an sich selbst aus der Hölle in den Olymp schleudern. So, wie es ihm einst im Januar 2022 gelungen war, als er im Finale der Australian Open vom Rande der Niederlage aus den Russen Daniil Medwedew in einem epischen Fünf-Satz-Match noch niederrang.
Doch es ist vorbei, im Körper Nadals steckt 2024 nicht mehr die Energie, um den ungebeugten Kopf auf dem Weg zum Triumph zu tragen. 4:6, 4:6, „das war’s. Ich habe versucht, mein Bestes zu geben. Gleichzeitig habe ich versucht, in jedem einzelnen Moment so positiv wie möglich zu bleiben und mit der richtigen Energie zu spielen. Das war nicht genug”, sagte Nadal nach dem Match. „Es passt, wenn das mein letztes Spiel war, wahrscheinlich war das mein letztes Einzel. Ich habe mein erstes Spiel im Davis Cup verloren, und ich habe mein letztes verloren. So schließt sich der Kreis.”
„Der Tag R” bringt zweimal Tränen
Weil Superstar Carlos Alcaraz das Duell der Nationen ausgleichen kann, im Doppel aber unterliegt, scheidet Spanien aus. Alles ist aus. Spät am Abend, als die folgenschwere Niederlage Spaniens feststeht, wird Nadal auf dem Court verabschiedet. Er wird gefeiert, nicht nur von den spanischen Fans. Auf der Tribüne fließen literweise Tränen, auf dem Platz weint Rafael Nadal. Die große Reise, die länger andauerte, als mancher seiner großen Nachfolger heute alt ist, ist vorbei.
Auch mancher Schmerz und manche Qual wird von ihm abfallen. Eine große Geschichte ist an diesem Tag auserzählt worden. „Es war ein 19. November, der bereits in die Geschichte des Sports eingegangen ist. Rafa Nadal spielte das letzte Spiel seiner glanzvollen und unvergleichlichen Profikarriere”, schrieb die spanische Sportzeitung „Marca”. „Der Tag R, der Tag des Rücktritts von Rafa Nadal, begann mit Tränen der Rührung und endete mit Tränen der Traurigkeit, weil die Legende sich verabschiedet hat.”
Nach Roger Federers Abschied 2022 verlässt mit Nadal der Zweite aus der Riege der „Big Threee” die Tenniswelt. Und er lässt eine Welt zurück, die durch Botic van de Zandschulp zu früh eine andere geworden ist.