Ismael „El Mayo” Zambada zählt zu den größten Drogenhändlern in der Geschichte Mexikos. Im Gegensatz zu anderen Bossen, die mit ihrem Luxus prahlen, scheut der 76-Jährige das Rampenlicht. Vergangene Woche landet der Mitbegründer des berüchtigten Sinaloa-Kartells zusammen mit einem Sohn seines früheren Partners Joaquín „El Chapo” Guzmán in einem Privatflugzeug in der texanischen Grenzstadt El Paso und wird festgenommen. Im Gespräch mit ntv.de warnt Mexiko-Experte Falko Ernst von der Denkfabrik International Crisis Group, dass die Verhaftung des 76-Jährigen zu einer neuen Spirale der Gewalt führen könnte.
ntv.de: Am vergangenen Donnerstag gingen US-Ermittlern die mexikanischen Drogenhändler Ismael „El Mayo” Zambada und Joaquin „El Güero” Guzmán López ins Netz. Hat Sie die Nachricht überrascht?
Falko Ernst: Solche spektakulären Festnahmen kommen in der Regel immer ein bisschen unerwartet. Gerade bei einer Figur wie „El Mayo”, der über Jahrzehnte die Beziehungen zwischen Organisierter Kriminalität und dem mexikanischen Staat mitgeprägt und auch dem globalen Drogenhandel seinen Stempel aufgedrückt hat. Zudem hatte er etliche Ressourcen, finanziell, politisch und paramilitärisch, um sich gegen eine Festnahme zu wehren. Er ist einer der letzten Narcos der alten Schule. Die Mitstreiter seiner Generation sind entweder tot oder im Gefängnis. Wenn man sich entsprechend die Biografien der großen Drogenhändler Mexikos anschaut, dann erscheint eine Verhaftung natürlich weniger überraschend.
Über die Hintergründe der Festnahme wird in den Medien fleißig spekuliert. Es heißt, „El Mayo” sei verraten und in eine Falle gelockt worden. Andere berichten, der 76-Jährige habe sich freiwillig gestellt.
Derzeit liegen noch viele Dinge im Dunkeln, was auch an der Art und Weise liegt, wie Ermittlungsbehörden arbeiten. Entscheidend wird in den kommenden Monaten und Jahren sein, welches Narrativ sich unter den Kartellmitgliedern durchsetzt. Eine Erzählung von einem Verrat in den eigenen Reihen kann viel böses Blut nach sich ziehen. Das Konstrukt der Organisation ist momentan schon sehr fragil, es gibt intern Gewalt zwischen verschiedenen Fraktionen.
Welche Rolle spielten „El Mayo” und Guzmán López innerhalb des Sinaloa-Kartells?
„El Mayo” gehört der Gründergeneration der Organisation an. In diesem Sinne diente er als symbolische Leitfigur, aber auch als jemand, der für das operative Geschäft noch großes Gewicht eingenommen hatte. Die mexikanischen Drogenkartelle sind keine Organisationen, die perfekt vertikal organisiert sind. Im Prinzip handelt es sich um Zusammenschlüsse verschiedener Fraktionen. Eine wurde angeführt von „El Mayo”, eine weitere von Guzmán López und seinen Brüdern, den ” Chapitos”, die das Erbe ihres Vaters Joaquín „El Chapo” Guzmán angetreten hat.
Derzeit findet ein Generationenwechsel statt. Den Narcos der alten Schule, und dazu gehört auch „El Mayo”, geht es hauptsächlich um den Drogenhandel und die Produktion. Die ” Chapitos” stehen für eine „pragmatischere” Herangehensweise. Mittlerweile geht es auch viel um Schutzgelderpressung, was wesentlich stärkere Auswirkungen auf die lokalen Ökonomien und die Zivilbevölkerung hat.
Welche Folgen haben die Festnahmen für das Sinaloa-Kartell?
Man muss jetzt sehen, ob es jemanden gibt, der das Sinaloa-Kartell zusammenhalten will und kann. Die letzten 50 Jahre haben gezeigt, dass jedes Mal, wenn mächtige Bosse durch Tod oder Inhaftierung ausfielen, es zu einer Fragmentierung und mehr Gewalt kam. Die Streitfrage, wer als Nächstes auf dem Thron sitzt, hat dann oft dazu geführt, dass vormals recht einheitliche Organisationen auseinandergefallen sind. Die Gefahr ist, dass ein Szenario entsteht, in dem viele kleinere Gruppen gegeneinander kämpfen und sich keine durchsetzen kann, weil jede einzelne nicht genug Ressourcen zusammenziehen kann, um den Krieg zu gewinnen. Die Folge ist eine endlose Spirale der Gewalt genau der Art, die Mexiko in einen Dauerzustand des Konflikts geführt hat.
Würden Sie sagen, dass das Kartell an einem Scheideweg steht?
Ja, das kann man so sagen. Die Situation hat sich schon vor ein paar Jahren angebahnt, spätestens 2017 mit der Auslieferung von „El Chapo” an die USA. Jetzt hat sich die Lage durch den Verlust der letzten großen Führungsfigur noch einmal zugespitzt. Eine Zersplitterung der Organisation wäre auch für die mexikanische Regierung problematisch, weil dadurch die Sicherheitslage noch schwieriger wird. Auch verfeindete Organisationen wie das Jalisco-Kartell könnten die Festnahmen als Zeichen der Schwäche sehen und nun ihre Attacken hochfahren.
Die US-Anti-Drogen-Polizei DEA sagte, die Verhaftungen träfen „das Herz” des Sinaloa-Kartells. Kann dieser Schlag den Drogenschmuggel in die USA eindämmen?
Für die US-Behörden sind die Festnahmen hauptsächlich ein symbolischer Sieg an der PR-Front. Die Botschaft lautet: „Wir sind effektiv im Drogenkrieg”. Aber im Endeffekt verfügen diese kriminellen Organisationen um breit gefächerte und diffuse Strukturen, die trotz der Herausnahme einzelner Anführer weiter existieren. Wenn man die Verhaftungen von Drogenbossen in der Vergangenheit betrachtet, dann haben die in keinem einzigen Fall dazu geführt, dass sich der Strom illegaler Drogen in die USA signifikant verringert hat.
Wie geht es nun weiter mit „El Mayo”?
Das wird sich zeigen. Wie im US-Justizsystem üblich stehen jetzt Gespräche an. Ob er einen Deal eingeht und als Informant fungiert, ist noch offen, aber durchaus im Bereich des Möglichen. Sein Sohn Jesús Vicente Zambada Niebla steht schon länger unter dem Schirm der US-Behörden und kooperiert mit den Ermittlern. Aber natürlich gibt es auch die Möglichkeit, dass sich „El Mayo” querstellt und es zu einem ordentlichen Prozess kommt, wie es bei „El Chapo” der Fall war.
Eine US-Zeitung schrieb, dass die Festnahme „El Mayos” Gouverneure und Militärs in Mexiko nervös machen werde. Seine Kontakte sollen bis in die Umgebung von Präsident Andrés Manuel López Obrador reichen.
Wenn „El Mayo” auspackt, dann könnte es für einige politische Akteure in Mexiko brenzlig werden. Aber am Ende ist es ein politisches Spiel, in dem es nicht im Interesse aller US-Behörden ist, diese Informationen öffentlich zu machen und dadurch die Beziehungen zu Mexiko in Mitleidenschaft zu ziehen. Dennoch sind diese Informationen Gold wert. Washington könnte sie in den bilateralen Verhandlungen, wenn es etwa um die Migration oder den Handel geht, als Druckmittel einsetzen.
Mit Falko Ernst sprach Janis Peitsch