Berlin. Eine alte Affäre sorgt selbst nach 50 Ehejahren noch für eine handfeste Krise: die französische Sommerkomödie „Liebesbriefe aus Nizza“.
Zum Geburtstag von Annie (Sabine Azéma) ist die ganze Familie Mersault mitsamt den erwachsenen Kindern und den Enkeln im sommerlichen Garten versammelt. François (André Dussollier), mit dem Annie seit einem halben Jahrhundert verheiratet ist, hat zu ihren Ehren ein Ständchen vorbereitet. Das sollen nun alle anstimmen.
Peinlich: Beim Ausmisten finden sich uralte Liebesbriefe
Als Melodie hat der General im Ruhestand die Marseillaise gewählt, die französische Nationalhymne, was bei einem Teil des Nachwuchses zu Stirnrunzeln führt, vor allem bei Adrien, von Beruf Marionettenspieler, und Capucine, die lesbisch ist, doch davon ahnt der Patriarch nichts. Nur Amaury gibt den Mustersohn, auch wenn das erwartete fünfte Enkelkind wohl wieder nur ein Mädchen wird. Dafür singt er jetzt umso inbrünstiger mit.
Die Jubilarin selbst nimmt es mit einem gelassenen Lächeln, sie ist die militärischen Marotten ihres Mannes gewöhnt, der den gemeinsamen Alterssitz mit allerlei Napoleon-Büsten, Handgranaten und anderem Soldatenkitsch dekoriert hat. Doch mit der etwas eingerosteten Ruhe ist es in der Komödie „Liebesbriefe aus Nizza“ bald darauf vorbei.
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Denn beim Ausmisten des Dachbodens entdeckt François einen Stapel glühender Liebesbriefe, die ein gewisser Boris an seine Gattin schrieb. Das liegt zwar schon vier Jahrzehnte zurück und war nur ein unbedeutender Seitensprung, versucht Annie zu beschwichtigen. Doch François‘ Eifersucht ist ebenso geweckt wie seine Ehre gekränkt, zumal der Liebhaber ein gemeinsamer Freund (Thierry Lhermitte) aus alten Zeiten ist, zu dem der Kontakt vor Langem abgebrochen war.
Ein, zwei Lektionen über Zusammenhalt und Liebe
Nun sinnt der General a.D. auf Rache und setzt alle Hebel vermeintlicher Kriegsführung in Bewegung, den Rivalen ausfindig zu machen. Mit voller Kampfausrüstung und Annie im Schlepptau zieht der Prinzipienreiter in die Schlacht nach Nizza, wo sich der Jugendfreund als gutgelaunter Lebemann und Gastgeber mit Swimmingpool entpuppt, der dem Hitzkopf tiefenentspannt bald den Wind aus den Segeln nimmt. Und nebenbei lernt François auch noch ein, zwei Lektionen, dass sich Familienzusammenhalt durch Toleranz und Liebe besser gelingt.
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Komödien-Routinier Ivan Calbérac ( „Frühstück bei Monsieur Henri“) vertraut ganz auf die Chemie seiner beiden Altstars Dussollier, 78, und Azéma, 74, die seit Alain Resnais „Das Leben ist ein Roman“ (1983) immer wieder als Filmpaar vor der Kamera standen. Mit eingespieltem Charme lavieren sie sich durch so manch angestaubte Situationskomik und man wünscht ihnen und dem reiferen Zielpublikum von Herzen ein paar flottere Drehbucheinfälle.
Am Ende des Trubels hat wieder alles seine wohlfällige Ordnung, bis dann doch noch eine kleine Überraschung auftaucht, die zumindest kurz vermeintliche Gewissheiten durcheinanderwirbelt.
Komödie, Frankreich 2024, 94 min., von Ivan Calbérac, mit André Dussollier, Sabine Azéma, Thierry Lhermitte, Joséphine de Meaux