In Venezuela regiert nach der umstrittenen Wahl von Nicolás Maduro das Chaos

Nach dem unklaren Wahlausgang am vergangenen Wochenende regiert in Venezuela das blanke Chaos. Die Opposition reklamiert den Sieg ihres Präsidentschaftskandidaten weiter für sich. Amtsinhaber Nicolás Maduro will aber nicht abtreten und droht seinen Gegnern mit Gefängnis. Die Unsicherheit ist groß nach der Präsidentschaftswahl in Venezuela am vergangenen Sonntag. Niemand weiß, wie es jetzt weitergeht. Amtsinhaber
In Venezuela regiert nach der umstrittenen Wahl von Nicolás Maduro das Chaos

Nach dem unklaren Wahlausgang am vergangenen Wochenende regiert in Venezuela das blanke Chaos. Die Opposition reklamiert den Sieg ihres Präsidentschaftskandidaten weiter für sich. Amtsinhaber Nicolás Maduro will aber nicht abtreten und droht seinen Gegnern mit Gefängnis.

Die Unsicherheit ist groß nach der Präsidentschaftswahl in Venezuela am vergangenen Sonntag. Niemand weiß, wie es jetzt weitergeht. Amtsinhaber Nicolás Maduro wurde von der ihm ergebenen Wahlbehörde des südamerikanischen Landes mit 51 Prozent der Stimmen zum Sieger erklärt. Doch die Opposition erkennt das Ergebnis nicht an, reklamiert Wahlfälschung und hält ihren Kandidaten Edmundo González für den wahren Sieger. Auch die USA haben ihn inzwischen als Gewinner anerkannt.

Im Vorfeld der Wahl hatten mehrere Umfragen einen klaren Sieg von González vorausgesagt. Beobachter befürchteten allerdings unfreie und unfaire Bedingungen, nachdem zuletzt mehrere Oppositionelle festgenommen und regierungskritische Kandidaten nicht zur Wahl zugelassen wurden. So wurde der eigentlichen Oppositionsführerin María Corina Machado wegen angeblicher Unregelmäßigkeiten während ihrer Abgeordnetenzeit die Ausübung politischer Ämter für 15 Jahre verboten.

Opposition moniert Wahlfälschung

Wurde die Wahl manipuliert? Dafür gibt es mindestens Indizien. Fakt ist, dass Wahlbeobachter von vornherein daran gehindert wurden, die Abstimmung in dem südamerikanischen Land zu überwachen. Die EU durfte erst gar keine Beobachter schicken, auch vier lateinamerikanische Ex-Präsidenten wurden laut Medienberichten von den venezolanischen Behörden daran gehindert, Vertreter der Opposition hatten ebenfalls keine Chance zur Wahlbeobachtung. Nur das unabhängige Carter Center durfte ins Land und teilte nach der Wahl mit, die Abstimmung habe nicht internationalen Standards entsprochen und „kann nicht als demokratisch angesehen werden”.

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Maduros Gegner sehen in Nachwahlbefragungen und den Ergebnissen von vier unabhängigen Hochrechnungen weitere Indizien für Wahlfälschung. Demnach habe Edmundo González in Wahrheit 70 Prozent der Stimmen bekommen und nicht nur 44. Man werde „nicht ruhen, bis der Wille des venezolanischen Volkes respektiert wird”, kündigte der Präsidentschaftskandidat der Opposition an. Die USA haben González inzwischen zum Wahlsieger erklärt. Dafür gäbe es „überwältigende Beweise”, heißt es aus Washington. Mehrere lateinamerikanische Länder fordern die sofortige Offenlegung aller Wahlergebnisse.

Auch Christian Cwik war vom Ergebnis der Wahl überrascht – allerdings aus einem anderen Grund, wie der Historiker und Venezuela-Kenner im ntv-Podcast „Wieder was gelernt” erläutert. Cwik hatte mit einem etwas klareren Sieg für Maduro gerechnet. „Ich habe einen Sieg mit 56 bis 58 Prozent erwartet. Die 51 Prozent sind für den amtierenden Präsidenten eine gefühlte Niederlage, weil der Aufwand, der vom Staatsapparat betrieben wurde, enorm gewesen ist.”

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Politik 02.08.24

„Überwältigende Beweise” USA erklären Maduro-Gegner zum Wahlsieger in Venezuela

Auch Günther Maihold, Professor am Lateinamerika-Institut der FU Berlin, zeigte sich überrascht, dass Maduro noch Sonntagnacht „so skrupellos” seinen Wahlsieg deklariert habe. „Ich dachte, er würde vorsichtiger agieren”, sagte Maihold dem „Tagesspiegel”. Vielen Experten zufolge käme ein nachgewiesener Wahlsieg von Maduro tatsächlich sehr überraschend.

Maduro hat Venezuela ausbluten lassen

Ein verdächtig knapper Sieg für den seit 2013 amtierenden Präsidenten? Maduro selbst wirft der Opposition einen „Staatsstreich” vor. Seine Gegner würden versuchen, „einen faschistischen und konterrevolutionären Staatsstreich durchzusetzen”. Vor der Wahl hatte Maduro gesagt, er werde die Wahl „auf Biegen und Brechen gewinnen”. Seinen Anhängern versprach er „Frieden, Stabilität und Gerechtigkeit”.

Das hat Maduro in seinen bisherigen elf Jahren als Präsident nicht erreicht. Für viele Menschen in Venezuela ist er der Hauptverantwortliche für Wirtschaftskrise, Hyperinflation und Armut in dem ölreichen Land. Unter seiner Präsidentschaft hat das Land mit den größten nachgewiesenen Erdölreserven der Welt drei Viertel seiner Wirtschaftskraft verloren. Über 80 Prozent der Bevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze. Stromausfälle sind an der Tagesordnung, Mangelwirtschaft hat das Land ausbluten lassen. Mehr als sieben Millionen Menschen, ein Viertel der Bevölkerung, haben Venezuela während der Präsidentschaft Maduros verlassen.

„Wir haben in Venezuela eigentlich zwei Systeme. Einmal das alte System dieses Proporzes aus klassischer Sozialdemokratie und einer klassischen Christdemokratie, natürlich aber nicht europäischen Mustern entsprechend. Maduros Vorgänger Chávez hat dazu ein Parallelystem aufgebaut. Die beiden nebeneinander existierenden Systeme sind mehr als nur kostenintensiv. Der Niedergang des Ölpreises 2012/13 hat Venezuela dann voll mitgerissen”, analysiert Cwik im Podcast. Beide „Systeme” würden sich permanent blockieren und Venezuela unregierbar machen, urteilt der Historiker. „Venezuela ist aus politikwissenschaftlicher Perspektive ein failed state.”

Maduros Gegnern droht Festnahme

Immerhin habe sich die wirtschaftliche Situation in den vergangenen zwei Jahren zumindest ganz leicht verbessert, betont Cwik, der in den 2000er-Jahren selbst drei Jahre in Venezuela gelebt und an Universitäten in der Hauptstadt Caracas geforscht und gelehrt hat. Als Grund für seine leicht positive Einschätzung nennt der Historiker die Sanktionslockerungen der USA.

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Politik 30.07.24

Ausschreitungen in Venezuela Krawalle nach Wahl – wütende Menge stürzt Chávez-Statue

Doch das scheint allenfalls ein Tropfen auf den heißen Stein zu sein. Und es reicht auch nicht, um die Bevölkerung im Land zu halten. Die Lage ist eine Woche nach der umstrittenen Wiederwahl von Maduro extrem angespannt. Unter der Woche gab es etliche Proteste, die teils blutig niedergeschlagen wurden. Mehrere Menschen kamen dabei ums Leben. Für dieses Wochenende sind weitere Proteste geplant. Am Samstag werde es Demonstrationen „in allen Städten des Landes” geben, kündigte María Corina Machado in einer Videobotschaft an.

Die Oppositionsführerin ist genauso wie Spitzenkandidat González seit dem Wahlsonntag nicht mehr öffentlich aufgetreten. Beiden droht die Verhaftung. „Ich schreibe diese Zeilen aus einem Versteck, um mein Leben, meine Freiheit und die meiner Landsleute fürchtend”, schrieb Machado in einem Gastbeitrag im „Wall Street Journal”.

Sie wäre normalerweise selbst als Präsidentschaftskandidatin angetreten, wenn sie gedurft hätte und nicht ausgeschlossen worden wäre. Stattdessen holte sie den weitgehend unbekannten Ex-Diplomaten González auf die große Bühne. „Er wirkt wie ein gemütlicher Mann mit Panama-Hut und weißem Hemd neben einer Frau, die ständig wie in Stein gemeißelt lächelt, aber der die Massen zujubeln”, schrieb die „Frankfurter Rundschau” vor der Wahl.

„Venezuela bräuchte eine Revolution”

Venezuela-Kenner Christian Cwik hat keine Hoffnung, dass sich die Lage im Land auf absehbare Zeit bessert. Auch die Opposition sieht der Historiker kritisch, weil sie sich „immer nur für Wahlen zusammenfinde”. Eine zukunftsorientierte Politik kann Cwik nicht erkennen. „Was Venezuela wirklich bräuchte, ist eine Revolution. Aber nicht mit dieser Opposition.” Das Programm von Machado, González und Co stehe für eine Neoliberalisierung. „Das geht fast schon in eine Richtung, die Milei in Argentinien eingeschlagen hat”, meint der Historiker von der Uni Graz im Podcast.

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01:32 min
Politik 29.07.24

Zweifel an Wahl in Venezuela Maduro und Opposition sehen sich beide als Sieger

Es brauche dringend neue Leute in der venezolanischen Politik, ist Cwik überzeugt. Das Land müsse sich von innen heraus reformieren. „Der Bolivarismus, auf dessen Grundlage Hugo Chávez seine Politik aufbaute und der von Nicolás Maduro fortgesetzt wurde, hat den Pfad des geplanten Fortschritts längst verlassen.” Es widerspreche sich, den 1783 in Caracas geborenen Simón Bolívar zu verehren und gleichzeitig für die Armen kämpfen zu wollen, war doch „Bolívar einer der reichsten Venezolaner seiner Zeit, ein oligarchischer Plantagenbesitzer mit Massen an Sklaven”, so Cwik. „Chávez war nicht der erste venezolanische Präsident war, der den 'Befreier Südamerikas’ verehrte, aber er hat Bolívars Aussagen auf „sozialistische Art und Weise” interpretiert.”

Erinnerungen ans Chaos 2018

Die aktuelle Lage erinnert an die Wahl im Jahr 2018. Auch damals verlief die Abstimmung komplett chaotisch, weil die Opposition die Wahl boykottierte. In der Folge ernannte sich Juan Guaidó Anfang 2019 eigenmächtig zum Interimspräsidenten Venezuelas – 54 Länder der Welt erkannten daraufhin Guaidó als Staatschef des Landes an. Doch die angedachten Neuwahlen fanden nicht statt, weshalb auch Guaidó mit der Zeit internationale Anerkennung einbüßte. Mittlerweile lebt der 41-Jährige im Exil. „Venezuela braucht keinen Guaidó 2.0”, wird Experte Maihold vom „Tagesspiegel” zitiert. „Die internationale Gemeinschaft sollte stattdessen schauen, wie sie die Zivilgesellschaft auf anderem Wege unterstützt.”

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Für die kommenden Tage und Wochen sieht Cwik schwarz. Die Situation werde sich eher zuspitzen als in irgendeiner Form entspannen. „Ich habe mehrfach erlebt, wie schnell sich die venezolanische Straße in ein Schlachtfeld zwischen den Anhängern der Opposition und den Vertretern der Staatsführung entwickeln kann. Das wird noch blutig, das wird weitere Todesopfer fordern”, blickt der Venezuela-Experte pessimistisch in die nahe Zukunft. „Wir dürfen nicht vergessen, in Venezuela wird auch schnell geschossen. Viele Venezolaner besitzen Waffen.”

Ob Nicolás Maduro weitere sechs Jahre nomineller Präsident von Venezuela sein wird, hänge nun maßgeblich vom Militär ab. Cwik geht davon aus, dass es weiterhin auf der Seite von Maduro stehen wird. Der 61-Jährige werde Präsident bleiben, weiterhin von vielen Staaten nicht anerkannt und mit einem 15-Millionen-Dollar-Kopfgeld durch die USA belegt sein, erwartet der Historiker.

„Der Wahlbetrug ist diesmal so eindeutig, dass er Maduros Unterstützer auf den harten Kern reduzieren wird”, wird Héctor Briceño im „Tagesspiegel” zitiert. Der venezolanische Politologe ist derzeit Gastwissenschaftler an der Uni Rostock und hält es für möglich, dass einige Militärs diesmal Zweifel bekommen könnten. „Wie viel politischen und sozialen Druck hält dieser Kern noch aus?”, fragt Briceño.

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