Im Notfall-Modus
Die 1,6-Grad-Nachricht ist das Signal, beim Klimaschutz nicht nachzulassen. Ein Kommentar.
Nun steht es fest: Wir leben, global betrachtet, mit plus 1,6 Grad. Das vorige Jahr war weltweit das wärmste seit Beginn der Industrialisierung. Das ist nun zwar keine Sensation mehr, die Messwerte aus den letzten Monaten hatten das schon erwarten lassen.
Trotzdem stellt der Wert für viele in der Klimaforschung und andere am Thema interessierte Menschen einen Schock dar. Die Welt hat nicht nur das 1,5-Grad-Limit aus dem Pariser Weltklima-Vertrag erstmals in einem ganzen Jahr gerissen, die globale Mitteltemperatur lag sogar noch um ein Zehntel höher, wie der Copernicus-Klimawandel-Dienst der EU mitteilt. Einen solche Beschleunigung der Erwärmung hätte in der Fachwelt noch vor wenigen Jahren kaum jemand erwartet.
Ein oder ein paar Zehntelgrad mehr oder weniger – ist das wirklich so bedeutsam? Die Werte an sich sind abstrakt. Niemand spürt den Unterschied direkt. Die meisten Menschen hierzulande wissen zwar, dass der Klimawandel auch ihr Leben bereits verändert hat. Die Winter sind nur noch ein Abklatsch von früher, die Wälder werden instabil, die Sommer bringen immer wieder extreme Hitzewellen. Doch wer nicht eine der häufiger werdenden Megafluten wie im Ahrtal mitmachen muss oder zu einer gesundheitlichen Risikogruppe zählt, für die Hitze gefährlich ist, kann hierzulande weiterhin gut leben.
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Doch das ist eine Scheinsicherheit. Denn die jüngste Beschleunigung der Erwärmung bedeutet ein Warnzeichen, dass auch das zweite Sicherheitslimit aus dem Paris-Abkommen, die Zwei-Grad-Grenze, bereits Mitte des Jahrhunderts gerissen werden könnte. Zwar mehren sich die Anzeichen, dass die Destabilisierung gefährlicher Kippelemente des Klimas bereits jetzt begonnen hat, so das Abtauen der riesigen Eisschilde von Grönland und der Westantarktis. Von zwei Grad an allerdings würde etwa dieses Abschmelzen auf breiter Front einsetzen, was langfristig eine Meeresspiegel-Erhöhung um viele Meter samt unbewohnbarer Küstenzonen bedeutete.
Zudem würden weitere, bisher noch sichere Kippelemente ausgelöst. Und, man muss es so klar sagen, dann geht es nicht mehr um einen Klima-„Wandel“. Künftige Generationen sähen sich mit einer veritablen Klima-Katastrophe konfrontiert.
Ein solches Szenario muss verhindert werden. Es würde zwar nicht das Ende der Menschheit bedeuten, aber den Fortbestand unserer Zivilisation riskieren, die sich seit der letzten Eiszeit in den vergangenen 11 000 Jahren eines relativ stabilen Weltklimas entwickelt hat.
Es ist eine wahrhaft apokalyptische Dimension – und nur das kann erklären, warum viele in Politik und Wirtschaft heute immer noch glauben, sie leugnen zu müssen (Typus Trump), mit einem leicht angegrünten Business as usual (Typus Scholz, Merz) durchzukommen oder selbst gefasste Klimaziele wieder aufzukündigen (Ölkonzerne, US-Banken).
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Dabei müsste die unheimliche Häufung der Warnzeichen eines außer Kontrolle geratenen Systems doch Mahnung genug sein, von der Flutkatastrophe in Valencia über die jüngsten Megahurrikane bis zur Flammenhölle von Los Angeles.
Die 1,6-Grad-Nachricht ist das Signal, dass der (halbwegs) vernünftige Teil der Welt beim Klimaschutz in den Notfall-Modus schalten muss. Er darf nicht zulassen, dass gewissenlose Machthaber wie Trump und Putin den Ton angeben, die die fossile Ära perpetuieren wollen.
Aussichtslos ist die Sache nicht. Wenn China und die EU als ökonomische Schwergewichte auf dem begonnenen Weg der Transformation zur CO2-Neutralität konsequenter vorangehen, ist der Umschwung zu schaffen, und zwar ökonomisch profitabel. Es ist entscheidend, dass die Politik das dem (Wahl)-Volk klar macht, übrigens auch in Deutschland.
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