Hirn oder Herz – wann ist ein Mensch wirklich tot?

Startseite Wissen Hirn oder Herz – wann ist ein Mensch wirklich tot? Stand: 03.12.2024, 13:01 Uhr Von: Pamela Dörhöfer Kommentare Drucken Teilen Bei einer Umfrage im Jahr 2022 gaben rund 40 Prozent der Teilnehmenden an, einen Organspendeausweis zu besitzen. © IMAGO/osnapix Organspenden sind in Deutschland nur erlaubt, wenn das Hirn unumkehrbar nicht mehr arbeitet. Andere Länder
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Hirn oder Herz – wann ist ein Mensch wirklich tot?

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Bei einer Umfrage im Jahr 2022 gaben rund 40 Prozent der Teilnehmenden an, einen Organspendeausweis zu besitzen. Osnaplx/Imago
Bei einer Umfrage im Jahr 2022 gaben rund 40 Prozent der Teilnehmenden an, einen Organspendeausweis zu besitzen. © IMAGO/osnapix

Organspenden sind in Deutschland nur erlaubt, wenn das Hirn unumkehrbar nicht mehr arbeitet. Andere Länder kennen auch Herz-Kreislauf-Stillstand als Voraussetzung an. Die grundlegenden medizinischen Fakten zur Debatte.

Das Missverhältnis besteht seit Jahrzehnten, ohne dass eine Trendwende erkennbar wäre: Mehr als 8200 Patientinnen und Patienten stehen in Deutschland auf der Warteliste für eine Organtransplantation, aber nicht einmal 1000 Menschen haben 2023 nach ihrem Tod Organe gespendet.

Die Bundesrepublik gehört damit in Europa zu den Schlusslichtern. In mehreren Ländern mit höheren Zahlen dürfen Organe auch nach einem Herz-Kreislauf-Tod entnommen werden. In Deutschland ist das nicht erlaubt, hier muss vor einer Organspende zwingend der Hirntod nachgewiesen werden. Über die Option, den sogenannten kontrollierten Herz-Kreislauf-Tod als Voraussetzung für eine Organspende zuzulassen, wird in Fachkreisen kontrovers diskutiert – vor allem seit einem Vorstoß aus den Reihen der FDP.

Die Vorstellung einer Organspende nach Herzstillstand löst bei vielen Menschen Unbehagen aus: Werde ich vielleicht vorschnell für tot erklärt, obwohl man mich noch reanimieren könnte? Wann ist man „richtig“ tot? Das Thema ist komplex, nicht nur für Laien. Die FR gibt einen Überblick.

Der Hirntod und die Organspende

Wie das Hirn stirbt. „Der Hirntod ist das Endstadium einer extremen Schädigung des Gehirns“, erklärt die Neurologin Stefanie Förderreuther vom Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München. Krankheiten oder Ereignisse, die zu einem Hirntod führen können, sind ein schweres Schädel-Hirn-Trauma, eine massive Hirnblutung, etwa als Folge eines Aneurysmas oder eines Schlaganfalls, oder auch eine Schädigung des Hirngewebes durch Sauerstoffmangel nach einem überlebten Herz-Kreislauf-Stillstand.

Zum Hirntod kommt es in der Regel nicht von jetzt auf gleich. „Ein Hirnfunktionsausfall braucht einige Tage, bis er sich entwickelt“, sagt Klaus Michael Lücking, Organspendebeauftragter des Universitätsklinikums Freiburg und Sprecher der Sektion Organspende bei der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi).

Durch die Schädigung schwillt das Gehirn immer stärker an. Irgendwann ist der Druck im Schädelinneren dann so hoch, dass das Herz kein Blut mehr ins Hirn transportieren kann. „Wird das Gehirn zehn Minuten lang nicht mehr durchblutet, stirbt es ab“, erklärt Lücking.

Tritt der Hirntod ein, „ist ein Mensch rechtlich gesehen tot, aber mit schlagendem Herzen“, veranschaulicht es der Anästhesist Florian Raimann, Haupt-Transplantationsbeauftragter des Universitätsklinikums Frankfurt. Auch die anderen Organe funktionieren weiter – und können es noch für einige Zeit tun. Denn in der Regel spielt sich eine solche Entwicklung auf einer Intensivstation ab, wo Patientinnen und Patienten mit schwerer Hirnschädigung intensivmedizinisch behandelt werden: Sie werden künstlich beatmet und bekommen unter anderem Medikamente, die den Kreislauf unterstützen.

Kommt jemand für eine Organspende infrage, so wird die Intensivtherapie auch nach festgestelltem Hirntod bis zur Entnahme fortgeführt, um Schädigungen der Organe zu vermeiden. „Der Herz-Kreislauf-Stillstand tritt dann erst ein, wenn die Organe in der Entnahme-Operation mit einer speziellen Konservierungslösung gespült werden“, erklärt Raimann. Menschen ohne Überlebenschance, die keine Organe spenden wollen, werden dann nur noch palliativ- und nicht mehr intensivmedizinisch versorgt, bis der Tod eintritt.

Diagnose des Hirntods

Wie der Hirntod diagnostiziert wird. In Deutschland sind dafür speziell qualifizierte Ärzteteams und ein streng geregeltes Prozedere vorgeschrieben: Zwei Fachärzte oder Fachärztinnen mit mehrjähriger intensivmedizinischer Erfahrung – einer oder eine davon aus der Neurologie/Neurochirurgie – müssen zu übereinstimmenden Ergebnissen kommen. Im Fall von Kindern gelten zusätzliche Vorschriften.

Um den Hirntod festzustellen, müssen zwei Voraussetzungen erfüllt sein, sagt Stefanie Förderreuther, die selbst eine erfahrene Diagnostikerin auf diesem Gebiet ist: „Man muss wissen, was diesem Menschen widerfahren ist. Wir brauchen eine klare Diagnose. Außerdem müssen Einflüsse, die den neurologischen Befund verschleiern könnten, ausgeschlossen werden.“

Dazu gehört unter anderem die Wirkung von Medikamenten, die zu einem künstlichen Koma führen. Sehen beide Fachleute die Voraussetzungen als erfüllt an, so folgt die klinische Untersuchung. Geprüft werden die Bewusstseinslage (ob ein tiefes Koma vorliegt) und die nicht unterdrückbaren, im Gehirn verschalteten Reflexe – etwa die Reaktion der Pupillen auf Licht (bei Lebenden verengen sie sich), Würge-, Husten- und Schluckreflex sowie reflektorische Augenbewegungen, die normalerweise dafür sorgen, dass wir die Welt nicht verwackelt wahrnehmen, wenn wir uns bewegen. „Das kann man prüfen, indem man den Kopf schnell und ruckartig bewegt und schaut, ob man Augenbewegungen auslöst.“

Weiter zählt dazu der Hornhaut-Reflex, der uns blinzeln lässt, wenn ein Fremdkörper ins Auge kommt. Geprüft wird zudem, ob jemand auf einen starken Schmerzreiz im Bereich des Trigeminus-Nervs (Gesichtsnervs) reagiert. Sind diese Hirnnervenreflexe ausgefallen, so folgt der letzte Teil der klinischen Untersuchung mit weiteren Tests, ob die Hirnfunktion unwiederbringlich verloren ist. Je nach Art der Schädigung kommt dafür unter anderem ein EEG infrage, das Hirnströme misst.

Der irreversible Ausfall aller Hirnfunktionen sei ein sicheres Todeszeichen, sagt Stefanie Förderreuther. Bei manchen Menschen stelle man bei der Untersuchung gleichwohl fest, dass sich Arme oder Beine noch bewegen. Diese Reflexe kämen aus dem Rückenmark und ließen sich „neurologisch in aller Regel von Hirntätigkeit unterscheiden“.

Bestünden allerdings Unsicherheiten, so könne der Hirntod nicht festgestellt werden. „Es gibt etliche Intensivpatienten, die trotz schwerster Schädigung des Gehirns nie das Vollbild eines Hirntodes entwickeln“, sagt Lücking. Nach heutiger Regelung darf man in solchen Fällen kein Organ entnehmen. „Das ist bitter, auch für die Angehörigen, die aus einer Organspende oft Trost ziehen.“

Der Herz-Kreislauf-Tod und die Organspende

Wenn Herz und Kreislauf stillstehen. Hört das Herz auf zu schlagen, pumpt es kein Blut mehr durch den Körper. Bei manchen Menschen gelingt es, sie schnell zu reanimieren. Bei anderen wird der Kreislauf auf einer Intensivstation künstlich aufrechterhalten; sonst würden sie binnen kurzer Zeit sterben. Ist die Prognose aussichtslos und werden deshalb die lebenserhaltenden Maßnahmen abgeschaltet, so können diese Menschen in vielen europäischen Ländern Organe spenden. Fachleute sprechen von einer Spende nach einem kontrollierten Herz-Kreislauf-Tod.

Ein zentraler Punkt dabei ist die Sicherheit der Prognose. „Es kommt durchaus vor, dass es mehrere Tage dauert, bis die Ärzte sich sicher sind, dass es keine Hoffnung mehr gibt und ein Patient in absehbarer Zeit sterben wird“, sagt Lücking. „Nach Beendigung der Intensivtherapie hört der Patient in der Regel auf zu atmen, danach bleibt das Herz stehen.“

Wie lange das dauere, sei individuell verschieden. Hat das Herz aufgehört zu schlagen, so folgt eine „No-touch-Zeit“, „in der der Patient nicht angefasst wird und man schaut, ob spontan die Herz-Kreislauf-Aktivität wieder einsetzt“. Diese Zeitspanne sei in den Ländern, bei denen der kontrollierte Herz-Kreislauf-Tod als Voraussetzung für eine Organspende gilt, unterschiedlich lang. Meist betrage sie fünf bis zehn Minuten, in Italien 20 Minuten.

Initiativen aus dem Bundestag

Eine Gruppe von rund 220 Abgeordneten verschiedener Fraktionen will im Parlament erneut über einen Gesetzentwurf pro Widerspruchslösung bei der Organspende abstimmen lassen, nachdem sich vor vier Jahren keine Mehrheit dafür gefunden hatte. Damals entschied sich der Bundestag für die Entscheidungslösung. Die Unterstützerinnen und Unterstützer wollen ihren Antrag bereits in dieser Woche in den Bundestag einbringen, ihr Ziel ist es, noch vor der Neuwahl am 23. Februar darüber abstimmen zu lassen. Zu den Abgeordneten, die unterzeichnet haben, gehören unter anderem Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und sein Vorgänger Jens Spahn (CDU).

Eine andere Gruppe von Abgeordneten ebenfalls verschiedener Fraktionen stellt sich gegen eine mögliche Widerspruchslösung. Stattdessen sollen unter anderem Ärzt:innen und Apotheker:innen extra honoriert werden, wenn sie Menschen dabei unterstützen, sich für eine Organspende zu entscheiden. Zu der Gruppe zählen unter anderem der CSU-Gesundheits- politiker Stephan Pilsinger, Kirsten Kappert-Gonther von den Grünen und Katrin Helling-Plahr (FDP).

Eine Studie zum Thema haben Mitte November Forschende des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung, des Max Planck Centre for Computational Psychiatry and Aging und der MSB Medical School Berlin im Fachmagazin „Public Health“ veröffentlicht. Untersucht wurden in einer Langzeitstudie die Organspenderaten in fünf Ländern (Argentinien, Chile, Schweden, Uruguay und Wales), die von der Zustimmungs- auf die Widerspruchslösung umgeschwenkt waren. Das Ergebnis: Die Widerspruchslösung erhöhte die Rate nicht. Als einen der Gründe vermuten die Forschenden die Angehörigen. Diese würden auch bei der Widerspruchslösung oft gefragt und lehnten eine Organspende aus Unsicherheit häufig ab. Empfohlen wird in der Studie, in eine bessere Transplantationsinfrastruktur und Dienste, die Transplantationen koordinieren, zu investieren.

Aus Reihen der FDP kam Mitte Oktober ein Positionspapier, das als Alternative die „selbstbestimmte Organspende auch nach Herz-Kreislauf-Tod“ ins Spiel bringt. Hierbei wird allerdings nicht differenziert, ob dieser Vorschlag auf den „normalen“ oder den sogenannten „kontrollierten“ Herz-Kreislauf-Tod abzielt. pam

Diagnose des Herz-Kreislauf-Stillstandes

Wie der Tod beim kontrollierten Herz-Kreislauf-Stillstand festgestellt wird. Auch dafür sind neurologische Tests erforderlich. So prüft man – wie bei der umfassenden formalen Hirndiagnostik – die Hirnstamm-Reflexe. Lücking erklärt, warum: „Wenn das Herz zehn Minuten nicht geschlagen hat, wird auch das Gehirn nicht mehr durchblutet, so dass alle Hirnfunktion dauerhaft erlischt.“

Dem Tod geht also sowohl beim unwiederbringlichen Ausfall der Hirnfunktionen als auch beim kontrollierten Herz-Kreislauf-Stillstand voran, dass das Gehirn nicht mehr mit Blut versorgt wird – im ersten Fall verursacht durch eine schwere Hirnschädigung, im zweiten, weil das Herz nicht mehr pumpt. Somit seien „diese beiden Konzepte gar nicht so weit voneinander entfernt“ und nicht die Gegenpole, als die sie oft dargestellt würden, konstatiert Lücking. Anästhesist Raimann spricht von „sekundärem Hirntod“.

Gibt es mehrere Tode? Der Tod ist der Endpunkt eines Sterbeprozesses, der sich in unterschiedlichen Körperteilen unterschiedlich schnell, aber gleichwohl unumkehrbar vollzieht. Wenn bei einem Menschen das Herz-Kreislauf-System zusammengebrochen und auch durch Wiederbelebungsmaßnahmen nicht mehr in Gang zu bekommen ist, stirbt binnen kurzer Zeit auch das Gehirn, weil es nicht mehr durchblutet wird.

Umgekehrt folgt auf den Tod des Gehirns als Steuerungszentrale unserer Lebensfunktionen unweigerlich der des Herz-Kreislauf-Systems, wird dieses nicht künstlich aufrechterhalten. Letzteres ist in den meisten Fällen nur wenige Wochen lang möglich.

Bis Mitte des 20. Jahrhunderts galt ein Herz-Kreislauf-Stillstand als das Kriterium, dass der Tod eingetreten ist. Das änderte sich seit den 1960er Jahren: Mit dem technischen Fortschritt verbesserten sich die Chancen der Reanimation, künstliche Beatmung wurde möglich. Nicht geändert hat sich, dass auch heute bei den meisten Menschen der Tod durch Herz-Kreislauf-Versagen festgestellt wird, der Hirntod dagegen nur bei wenigen Patientinnen und Patienten auf der Intensivstation.

Nur bei diesen Menschen ist in Deutschland eine Organspende theoretisch möglich. Allerdings kommen auch aus medizinischen Gründen viele nicht als Organspender infrage – etwa bei einer aktiven Krebserkrankung oder einer Infektionskrankheit. Außerdem: Jemand, der zu Hause oder auf der Straße in Folge eines Herzinfarkts einen Herz-Kreislauf-Stillstand erleidet und dann nicht erfolgreich reanimiert wird, könne keine Organe spenden, erläutert Raimann. Denn durch längeren Sauerstoffmangel würden die Organe schwer geschädigt.

Die Debatte über Organspenden

Der Intensivmediziner Lücking geht davon aus, dass sich die Zahl der Transplantationen in Deutschland deutlich steigern ließe, würde der kontrollierte Herz-Kreislauf-Tod als Voraussetzung für eine Organspende zugelassen. In der Schweiz hätten sich in den vergangenen zehn Jahren die Spenden verdoppelt, eine ähnliche Entwicklung habe es auch in den Niederlanden und Großbritannien gegeben, dort noch vor Einführung der Widerspruchslösung.

Lücking räumt ein, dass die Sicherheit der Prognose, die zum Beenden oder Fortführen der Intensivtherapie führt, ein heikles Thema ist. Er sagt aber: „Diese Entscheidungen müssen jedoch bereits heute und auch in Zukunft jeden Tag auf den Intensivstation getroffen werden.“ Es sei „letztlich auch eine Frage, wie sehr eine Gesellschaft ihren Ärzten vertraut“. Er finde es „bedrückend, wenn dieses Vertrauen schwindet“, sagt Lücking, noch nie in all seinen Jahren auf Intensivstationen habe er erlebt, dass „Intensivärzte leichtfertig einen Patienten für tot erklärt hätten“.

Die Neurologin Förderreuther hingegen ist skeptisch gegenüber einer Änderung, die eine Organentnahme nach Herz-Kreislauf-Tod erlauben würde. „Dann wären wir weg von der Regel, dass jeder Spender gesichert tot sein muss. Das gewährleistet allein der unwiederbringliche Ausfall der Hirnfunktion.“ Bei der prognostischen Beurteilung eines potenziellen Organspenders auf der Intensivstation befürchtet sie „potenzielle Interessenskonflikte“.

Ärzte könnten dann „im Hinterkopf haben“, dass sie „einem anderen Menschen helfen könnten“, der ein Organ benötigt. Ein hirntoter Mensch sei gesichert tot und brauche seine Organe nicht mehr. „In dem Fall ist eindeutig, dass der/die Betroffene unrettbar krank war. Unter diesen Bedingungen bin ich absolut für eine Organspende. Alles andere jedoch eröffnet Türen, von denen ich nicht weiß, ob man sie wirklich geöffnet haben will.“

Der Medizinerin geht es dabei vornehmlich um die Frage, wie lange man behandelt und versucht wiederzubeleben. „Zum Teil wird eine halbe Stunde oder sogar eine Stunde reanimiert. Man gibt erst auf, wenn es mit allen Mitteln nicht mehr geht. Aber wenn es künftig heißt, dieser Patient könnte Organspender werden, wenn wir aufhören und je früher wir das tun, desto besser ist die Qualität der Organe, dann bringt man Ärzte in einen enormen Interessenskonflikt, den ich unerträglich finde und vor dem man sie schützen muss.“

Die verschiedenen Regelungen

Entscheidungslösung Deutschland ist das einzige Land in Europa, wo die Entscheidungslösung gilt. Sie besagt, dass die Entnahme von Organen (und Gewebe) nach dem Tod nur dann erlaubt ist, wenn ein Mensch zu Lebzeiten zugestimmt hat. Liegt zur Organspende keine Entscheidung vor, so werden die Angehörigen nach dem mutmaßlichen Willen des Verstorbenen gefragt. Um eine Entscheidung zu erleichtern, bekommen ab dem Alter von 16 Jahren alle bei einer deutschen Krankenkasse Versicherten im Zwei-Jahres-Rhythmus Infomaterial sowie einen Organspendeausweis zugeschickt. Außerdem soll die Bereitschaft zur postmortalen Organspende regelmäßig erfragt werden.

Zustimmungslösung Bei der reinen Zustimmungslösung dürfen Organe nur dann entnommen werden, wenn jemand zu Lebzeiten zugestimmt hat. Nach einer reinen Zustimmungslösung verfährt kein Land in Europa.

Erweiterte Zustimmungslösung Es gilt: Hat ein Mensch seinen Willen nicht dokumentiert, so sollen die Angehörigen im Sinne des Verstorbenen entscheiden. Das entspricht der Regelung in Deutschland – allerdings ohne die Entscheidungshilfen. Die erweiterte Zustimmungslösung wird unter anderem in Dänemark, Griechenland, der Schweiz, Irland und Israel praktiziert.

Widerspruchslösung Hier dürfen Organe nur dann nicht entnommen werden, wenn ein Mensch zu Lebzeiten ausdrücklich widersprochen hat. In einigen Ländern können Angehörige dennoch einer Organentnahme widersprechen. Die Widerspruchs-lösung gilt in den meisten europäischen Ländern, etwa in Frankreich, Spanien, den Niederlanden, Norwegen, Österreich, Polen, Großbritannien mit Ausnahme von Nordirland sowie in Russland.

Stirbt eine Person im Ausland, so greift die Regelung dieses Landes, nicht des Heimatlandes. pam

Der Transplantationsbeauftragte Raimann weiß, dass die Debatte über Organspenden schon heute bei Patientinnen und Patienten und deren Angehörigen diffuse Befürchtungen nährt. Zum Beispiel weil sie vermuteten, dass ihre Organe an jemanden weitergegeben würden, „der vielleicht zwei Zimmer weiter liegt und von dem man weiß, dass er dringend ein Organ braucht“. Aber es gebe eine strikte Trennung zwischen den „zuständigen Ärzten für eine Organspende und den Transplantationschirurgen“.

Das Gehirn ist die Steuerungszentrale unserer Lebensfunktionen, das Herz der Motor, der Blut in die Organe pumpt. Panthermedia
Das Gehirn ist die Steuerungszentrale unserer Lebensfunktionen, das Herz der Motor, der Blut in die Organe pumpt. © Panthermedia

Ziel sei es zudem immer, das Organ einem Menschen zu transplantieren, der „die besten Aussichten hat, dass es bei ihm funktioniert“. Wenn das Gewebe unverträglich sei, steigere das die Abwehrreaktion beim Empfänger. Er betont: „Ob ein Organ ,gut verträglich‘ ist, wird durch aufwendige Analysen untersucht. Diese dürfen erst nach festgestelltem Hirntod erfolgen.“

Einig sind sich die Fachleute, dass eine umfassende Beschäftigung mit den medizinischen, ethischen und juristischen Aspekten des Themas wichtig ist, nicht nur in der Politik, die letztlich entscheidet, sondern vor allem auch „in der Ärzteschaft und in der gesamten Gesellschaft“, so Klaus Michael Lücking: „Diese Debatte muss die Menschen mitnehmen, Vertrauen schaffen und sie entscheidungsfähig machen.“

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