Gegen Radikalisierung
Wir müssen die Probleme der Migration lösen, aber auch gegen Dschihadismus vorgehen.
Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Dass Bund und Länder, Koalition und Opposition eine Arbeitsgruppe gründen wollen, um das Thema Migration anzugehen, ist richtig, wichtig und überfällig. Die Frage, wie wir künftig damit umgehen wollen, dass eine nicht abreißende Zahl an Menschen vor Krieg und Krisen, vor allem aber vor Armut und Perspektivlosigkeit zu uns flieht, muss grundsätzlich geklärt werden. Dass es jedoch ein mutmaßlich islamistischer Anschlag war, der eine einwöchige Asyldebatte ausgelöst hat, ist trotzdem irritierend.
Zwar kann es keinen falschen Zeitpunkt dafür geben, dass Generationenthema Migration neu zu denken. Denn unabhängig davon, wie man den aktuellen Umgang Europas mit dem Einwanderungsdruck moralisch bewertet, muss man einsehen: Wo demokratisch gewählt wird, stimmt die Wählerschaft entlang ihrer eigenen Interessen. Solange eine Mehrheit sich also vom Ausmaß der Migration überfordert fühlt, wird sie jede Partei abwählen, die ihr dieses Gefühl nicht nimmt.
Auf lange Sicht wird deshalb wohl auch die EU beim Modell USA landen: eine löchrige Festung, die über legale Einwanderung entscheidet, bevor die Betroffenen Einlass bekommen – also mit Asylverfahren und Arbeitskräfterekrutierung in Herkunfts- oder Drittstaaten – und zugleich mit dauerhafter irregulärer Einwanderung, gegen die Zäune nur bedingt helfen.
Eine deutsche „Arbeitsgruppe Migration“ wäre deshalb gut beraten, sich nicht im Ringen über Abschreckungs- und Quälmaßnahmen gegen Flüchtlinge zu verzetteln. Nötig sind Konzepte für eine europäische Zuwanderungspolitik, die sich den Umweg über Show-Tänzchen fürs nationale Publikum erspart.
Das alles ist schwierig genug. Unverantwortlich ist es aber, den Eindruck zu erwecken, eine bessere Migrationspolitik könnte Taten wie in Solingen oder Mannheim verhindern. Reichlich spät lässt die Bundesregierung jetzt erkennen, dass sie das begriffen hat: Nach Morden durch einen Afghanen und einen Syrer braucht es wirksame Schritte gegen islamistische Radikalisierung und dschihadistischen Terror. Denn die Fiktion, man müsse nur alle Syrer und Afghanen loswerden, kann ja nicht allen Ernstes als seriöser Vorschlag verhandelt werden.
Zu Recht haben viele Deutsche nach der Meldung aus Solingen ein emotionales „Es reicht!“ in sich hinein- oder in die Welt herausgebrüllt. Aber sobald die Emotion abkühlt, müsste doch klar sein, dass nicht jeder Syrer oder Afghane eine tickende Zeitbombe und ein potenzieller Messermörder ist. Oder?
Vor ein paar Jahren kassierte AfD-Chefin Alice Weidel für eine solche Polemik im Bundestag noch einen Ordnungsruf vom Bundestagspräsidenten, dem konservativen CDU-Urgestein Wolfgang Schäuble. Und jetzt soll das unser Lösungsansatz sein?
Aber selbst wer an diesem Punkt angekommen sein sollte, muss sich fragen, was wohl realistischer ist: Alle Syrer und Afghanen loszuwerden – oder die Dschihadisten unter ihnen ausfindig zu machen und zu stoppen?
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Seit der Tat in Solingen wird aufgeregt danach gefahndet, wessen Versagen dazu geführt hat, dass der Verdächtige nicht längst nach Bulgarien abgeschoben wurde – einem unserer EU-Partner, der überhaupt noch Flüchtlinge zurücknimmt, wenn auch zurückhaltend. Man versetze sich kurz in die dortigen Verantwortlichen, die diese deutsche Debatte verfolgen.
Erst an Tag 6 nach dem islamistischen Anschlag hat die Bundesregierung nun angekündigt, die Befugnisse der Sicherheitsbehörden im Kampf gegen den Islamismus auszuweiten und öfter mit Vereinsverboten gegen Islamisten vorzugehen. Warum war nicht das die erste Reaktion der Bundespolitik? Warum hat die Öffentlichkeit nicht zuerst gefragt, wieso Heimbetreiber und Sicherheitsbehörden nicht erkannt haben, dass sich da ein Syrer in einem deutschen Flüchtlingsheim in den Dschihadismus hineinradikalisiert hat?
Der Bundes- oder Landesregierung vorzuwerfen, dass der Solinger Täter nicht einer der nur zwölf Asylbewerber war, die Bulgarien pro Woche aus Deutschland zurücknimmt, ist billig. Berechtigt ist dagegen die Frage, ob die Behörden ausreichende Schlüsse daraus gezogen haben, dass seit dem Hamas-Massaker in Israel vom 7. Oktober 2023 auch in Deutschland die Islamisten wieder verstärkt Flagge zeigen und wieder vermehrt Rekrutierungserfolge feiern. Für die potenziellen Terroristen spielen nationale Grenzen eine viel kleinere Rolle als in unserer Asyldiskussion.
Es gibt keine einfachen Lösungen im Kampf gegen den Dschihadismus. Aber es gilt, das Sicherheitspaket der Ampel jetzt nicht entlang der Frage zu bewerten, ob Asylbewerber ausreichend gequält werden. Wir müssen darüber sprechen, ob die Schritte gegen den Islamismus ausreichend sind. Bericht S. 4
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