Als in Magdeburg ein Auto über den Weihnachtsmarkt rast und damit mindestens zwei Menschenleben nimmt, dreht sich der Fußball weiter. Doch sowohl in Düsseldorf, wo der 1. FC Magdeburg spielt, als auch beim Bundesliga-Topspiel gibt es nur ein Thema. Leipzig-Trainer Rose bittet angeschlagen um Stille.
Marco Rose war vollkommen aufgewühlt. Der Trainer von RB Leipzig war nicht aufgewühlt, weil seine Mannschaft gerade mit 1:5 bei Bayern München untergegangen worden war. Er war auch nicht aufgewühlt, weil sein Rechtsverteidiger Benjamin Henrichs sich in den letzten Sekunden des Spiels womöglich einen Achillessehnenriss zugezogen hatte. Der in Leipzig geborene Rose war aufgewühlt, weil kaum 100 Kilometer entfernt von der Sachsenmetropole ein Mann mit einem Auto in den Weihnachtsmarkt von Magdeburg gefahren war.
„Wollen wir heute überhaupt über Fußball reden? Ganz ehrlich. Ich habe Nachrichten mehr oder weniger aus der Heimat bekommen, aus Magdeburg”, sagte Rose auf DAZN. „All das hier erscheint in einem anderen Licht. Ja, wir haben Fußball gespielt. Wir haben hoch verloren. Wir haben verdient verloren und Benny hat womöglich eine schwere Sprunggelenkverletzung. Aber wie gesagt, es sind ein paar andere Sachen heute passiert, die einfach nicht schön sind.” Es war ein Interview von bedrückender Ehrlichkeit.
Es war ein Interview, das, trotz all der Düsternis, die sich über diesen letzten Freitag vor Weihnachten 2024 gelegt hatte, die Kraft des Fußballs richtig einschätzte. Leipzig hatte ein Spiel verloren, ziemlich krachend sogar, die Situation für Trainer Rose war dadurch gewiss nicht einfacher geworden, doch daran dachte er nicht und daran wollte er nicht denken.
Kompany wünscht sich Frieden für die ganze Welt
Wenige Minuten später beendete der Streamingdienst die Übertragung aus der Münchener Allianz Arena vorzeitig. Moderator Daniel Herzog und der Experte Sami Khedira hatten sich zuvor recht überfordert von der Situation gezeigt. Es war verständlich: Ihr Geschäft ist der Fußball. Ihr Geschäft ist nicht die Angst und Unsicherheit, die an diesem späten Freitag aus welchen Motiven auch immer über Deutschland gekommen war. Das Ende der Übertragung war zwangsläufig. Alles, was gesagt werden konnte, hatte der emotionale Leipziger Trainer gesagt. Sportliche Belange interessierten zumindest die breite Öffentlichkeit in diesen Momenten weniger.
Auch Vincent Kompany, der Trainer des FC Bayern, fühlte sich kaum mehr in der Lage, über das Spiel zu reden. „Es ist fast unmöglich über Fußball zu reden, jetzt sind die Menschen in Magdeburg in unseren Gedanken”, sagte er und äußerte seine Hoffnung auf Frieden in der Welt, „irgendwann und nicht nur in Deutschland”. Er schloss sein Statement mit den Worten: „Wir haben gewonnen heute, aber ich wünsche mir Siege für den Frieden im nächsten Jahr.” Worte voller Hoffnung, die nie erfüllt werden wird.
FC Bayern sagt Weihnachtszeremonie ab
Stille hatte sich nach Spielschluss über die bis dahin laute Allianz Arena gelegt. Alles war vorbereitet für die traditionelle Weihnachtszeremonie des Rekordmeisters. Um den Mittelkreis standen rund 30 Christbäume, die Spieler des FC Bayern trugen Weihnachtsmützen, doch nach einer Feier war niemandem zumute.
„Dass ich hier stehe, haben wir uns völlig anders vorgestellt. Der Hintergrund ist ein schrecklicher, grauenvoller Anschlag in Magdeburg. Deswegen haben wir uns kurzfristig entscheiden, auf unsere Weihnachtszeremonie zu verzichten”, erklärte Jan-Christian Dreesen, der Vorstandsvorsitzende des FC Bayern den Fans. Er musste sie zusätzlich beruhigen. Fünf Ersatzspieler von RB Leipzig liefen in der abgedunkelten Arena aus. Ihnen war die Schwere der Situation offensichtlich nicht bewusst. Das Stadion pfiff, Dreesen bedeutete einigen Personen, die Spieler zu informieren. Die stoppten ihr Programm.
„Diese Zeremonie sollte eine fröhliche sein, und die passt nicht in diesem Moment. Ich bitte Sie alle, aufzustehen und den Angehörigen und Freunden und Opfern zu gedenken”, sagte Dreesen danach und das Stadion stand auf. Nach der Schweigeminute sang der Tölzer Knabenchor „Stille Nacht, Heilige Nacht” und das Stadion leerte sich alsbald.
Magdeburger Spieler schweigen
Während beim Bundesliga-Spiel in München die Situation von den Stadionbesuchern noch nicht erfasst worden war und wohl auch nicht erfasst werden konnte, hatten die Anhänger beim Zweitliga-Spiel zwischen Fortuna Düsseldorf und dem 1. FC Magdeburg Stunden zuvor den Support auf den Tribünen eingestellt. Die Nachricht von den Ereignissen an der Elbe hatte sich über den Auswärtsblock verbreitet. Die restlichen Zuschauer im Fortuna-Stadion waren über die Anzeigetafel informiert worden. Zuerst hatten die Magdeburger Spieler ihre Tore beim durchaus spektakulären 5:2-Erfolg noch bejubelt, doch war dieser Jubel später ebenfalls dem Schweigen gewichen. Die Nachricht war zu den Spieler durchgesickert.
„Wenn Fußball zur Nebensache wird – der FCM ist geschockt und in Gedanken bei den Betroffenen rund um die schrecklichen Ereignisse am Magdeburger Weihnachtsmarkt”, teilte der Klub aus Sachsen-Anhalt nach dem Spiel auf der Webseite mit. Die Spieler schwiegen und gaben keine Interviews. Auch beim Gegner aus Düsseldorf rückte die Niederlage schnell in den Hintergrund. „Da gibt es wichtigere Dinge, da spielt Fußball irgendwie keine Rolle. Ich habe nicht allzu viele Informationen. Aber das, was ich gehört habe, ist erschreckend”, sagte Fortuna-Kapitän André Hoffmann bei Sky.
Der Umgang des Fußballs mit den Ereignissen in Magdeburg war an diesem Freitag jedoch nicht erschreckend, sondern der Situation mehr als angemessen. In all der Trauer, in all dem Schock lag genau darin etwas Versöhnliches. „Morgen wird sich das Rad weiterdrehen. Aber ich persönlich würde jetzt schon ganz gerne mal innehalten”, sagte Leipzig-Trainer Rose auf der Pressekonferenz.