Es ist eine unglaubliche Story, die sich da vor knapp 30 Jahren in England zutrug – doch sie erzählt eine Menge über die ständige Sehnsucht des Fußballs nach dem einen großen Glücksgriff auf dem Transfermarkt. Damals ging die Geschichte mit Ali Dia tüchtig daneben.
Wir schreiben das Jahr 1996. Wer in diesen Tagen bereits ein Handy besaß, hieß entweder Lothar Matthäus oder wollte öffentlich einen auf dicke Hose machen. Die heutige allgegenwärtige mobile Revolution war noch nicht gestartet und das Internet steckte in den Kinderschuhen. Bei Yahoo konnte man zwar schon nach den ersten Dingen suchen lassen, aber wenn man diese ansteuerte, fand man in der Regel fast nichts. Den Namen Ali Dia hätte Graeme Souness damals also völlig umsonst gesucht – wenn er es denn überhaupt probiert hätte.
Das ist wichtig zu erwähnen, wenn man diese Geschichte aus dem Herbst 1996 erzählt. Graeme Souness war damals Trainer des FC Southampton. Ein Klub, der ständig gegen den Abstieg ankämpfte und in Matt le Tissier den einzigen namhaften Spieler in seinen Reihen hatte. Und genau diese Vereinslegende erzählt noch heute gerne mit einem Lächeln des Unglaubens von dem schlechtesten Fußballer, der je in der Premier League gespielt hat. Wie er dahin kam, ist ein modernes Märchen aus 1001 Nacht.
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Es ist eine Geschichte vom Träumen und der Sehnsucht nach dem ganz großen Glück. Damals glaubte Souness für einen kurzen Moment in diesen dunklen Herbsttagen, er hätte das Licht gesehen und einen Jackpot abgeräumt. Denn genau ihn, den schottischen Teufelskerl, hatte sich der Weltfußballer des Jahres, George Weah, ausgesucht, um einen todsicheren Tipp zu platzieren. In einem euphorischen Telefonat feierte der Liberianer seinen Cousin Ali Dia in den höchsten Tönen ab. Mehrfacher Nationalspieler sei er und in Frankreich eine ganz große Nummer. Souness müsse nur schnell zuschlagen, denn Dia sei sehr begehrt.
Äußerst irritierendes erstes Training
Und so zögerte der Coach des FC Southampton keine Sekunde, stattete Dia mit einem Vertrag aus und ließ sich auch von einem äußerst irritierend verlaufenden ersten Training nicht aus der Bahn werfen. Denn als ausgerechnet vor dem Spiel gegen Leeds United die Partie der zweiten Mannschaft wegen Unbespielbarkeit des Platzes ausfiel, nahm der Schotte Dia einfach mit zur Begegnung gegen Leeds. Als Ergänzungsspieler, der schon einmal die Atmosphäre in der Premier League hautnah, aber von draußen schnuppern sollte. So der Plan. Doch das Märchen ging weiter.
Wieder einmal müsste das spätestens seit Ernst Huberty bei der WM 1970 legendär gewordene ‚ausgerechnet’ herhalten, wenn man davon erzählt, dass niemand anderes als der große Matt le Tissier in der 32. Minute das Feld verletzt verlassen musste. Genau in diesem Augenblick dachte Souness an seinen neuen Freund George aus Liberia und sein flammendes Plädoyer für seinen begnadeten Cousin Ali Dia. Der Trainer fiel in einen Sekundenschlaf und begann zu träumen. Von jetzt an sollte die Sonne endlich wieder über Southampton scheinen. Und er, Graeme Souness, hätte ganz alleine wegen seiner weitreichenden und fruchtbaren Kontakte in alle Welt den ungemütlichen Herbstregen für immer vertrieben. Doch das Märchen sollte kein Happy End haben.
Das unwürdige Spektakel dauerte präzise 20 Minuten, dann war die Karriere des Ali Dia in der Premiere League auch schon wieder vorbei. Matt le Tissier hat diese quälend langen 1.200 Sekunden später einmal mit dem Wort „Fremdschämen“ umschrieben. Dia habe wie „Bambi auf dem Eis“ gewirkt. Nicht eine einzige Szene konnte er für sich entscheiden, nicht einen einzigen Ball behaupten. Er agierte auf dem Rasen wie ein Esel in der Stierkampf-Arena. Deplatziert, planlos und völlig hilflos. Der Traum vom großen Transferglück zerplatzte vor den Augen einer ganzen Nation. Southampton und Graeme Souness wurden zum Gespött der Fußballwelt. Es war ein Desaster – das allerdings erst einmal für Verwunderung sorgte. Denn was war hier gerade überhaupt passiert, fragten sich alle?
Fast nichts ist echt
Als Souness sich, die Fans und Ali Dia in der 52. Minute endlich erlöste, war allen im Stadion und vor den TV-Geräten überaus deutlich und schmerzhaft vor Augen geführt worden, dass hier und heute niemals ein afrikanischer Nationalspieler auf dem Platz gestanden haben konnte. Auch wenn wenigstens die Hautfarbe echt war, stimmte ansonsten fast nichts an Dia. Denn statt aus Liberia kam er aus dem Senegal. Er hatte auch nie für hochklassige Klubs – wenn man einmal seinen kurzen Trip zum VfB Lübeck in die zweite Liga ignoriert – gespielt, sondern sich eher knapp über der Freizeitliga neben dem Studium mit Fußball fit gehalten.
Und natürlich hatte auch nicht der Weltfußballer George Weah bei Souness angerufen, sondern ein Freund von Dia. Aus einer Laune heraus hatte er sich den Spaß erlaubt, seinen Kollegen bei einem Premier League Klub anzubieten. Und der Schotte Souness hatte rein zufällig genau in diesem Moment einen guten Stürmer für seinen Verein gesucht. Da haben sie sich alle gedacht, das wäre doch die Gelegenheit. Und das stimmte ja auch. Die Zeit war günstig und die Sehnsucht in Southampton groß. Damals, als die neuen Medien noch in den Kinderschuhen steckten und keine modernen Märchen verhindern konnten!