Felix Banaszak: „Wir bleiben über der Gürtellinie – und das werden wir durchziehen”
Felix Banaszak ist seit kurzem Vorsitzender der Grünen. Im Interview mit unserer Redaktion spricht er über steigende Preise, seine Vorsätze für den Wahlkampf und die Lehren aus dem Anschlag in Magdeburg.
Die Wände im Besprechungszimmer von Felix Banaszak in der Grünen-Bundesgeschäftsstelle sind noch leer. Neue Bilder auszusuchen – dazu hatte der 35-Jährige noch keine Zeit.
Erst Mitte November ist er neben Franziska Brantner zum neuen Co-Vorsitzenden der Partei gewählt worden. Schonfrist? Gibt es nicht. Sofort gilt es, einen Bundestagswahlkampf zu managen.
Herr Banaszak, die Grünen sind in Teilen der Gesellschaft geradezu verhasst. Haben Sie ein Rezept, wie Sie damit umgehen wollen?
Felix Banaszak: Hass und Angriffe auf demokratische Parteien und Mandatsträger sind ein großes Problem für unsere Demokratie, dem wir uns als Gesellschaft stellen müssen. Es darf keine Frage des Mutes sein, sich zu engagieren. Gleichzeitig nehme ich ein großes Interesse an den Grünen wahr. Das sieht man auch an dem enormen Mitgliederzuwachs der letzten Wochen.
Wie erklären Sie sich diesen Zuwachs?
Wir haben als einzige Partei ernsthafte Konsequenzen aus den letzten Jahren gezogen. Damit meine ich nicht nur die Wahl eines neuen Bundesvorstands. Wir sind lernfähig, das zeigt auch unser Wahlprogramm. SPD und FDP haben nach dem Scheitern der Ampel nahtlos weitergemacht. Und bei Friedrich Merz klingt es immer so, als hätten die marode Infrastruktur und die schwächelnde Wirtschaft überhaupt nichts mit 16 Jahren CDU-geführter Regierung vor der Ampel zu tun.
Im Wahlprogramm Ihrer Partei für die Bundestagswahl dreht sich vieles um die Formel: Das Leben muss wieder bezahlbar sein. Ist das Ihr neues Lieblingsthema?
Auch das ist Teil des Lernprozesses, wir wollen eine Politik nahe am Alltag der Menschen machen. Viele sind betroffen von Steigerungen bei Energie- und Lebensmittelpreisen. Sie sind eine Folge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine. Zusätzlich steigen weiterhin die Mieten überall im Land. Eine Partei muss ihr Programm aus dem Leben der Menschen entwickeln.
Die Inflation ist in den vergangenen drei Jahren deutlich gestiegen. Also in der Regierungszeit der Grünen. Wie wollen Sie glaubwürdig vermitteln, dass ausgerechnet Sie das Problem jetzt lösen können?
Nicht die Ampel-Regierung hat die Inflation ausgelöst, Ursache ist die Abhängigkeit vom vermeintlich billigen russischen Gas. Und in diese Abhängigkeit haben uns frühere Regierungen aus CDU/ CSU und SPD geführt. Durch unsere Regierungsarbeit haben wir viele Preissteigerungen abgefangen. Die Inflation ist wieder auf einem normalen Niveau, wir haben Entlastungspakete vereinbart und das 49-Euro-Ticket eingeführt. Wir müssen aber noch weitere Schritte gehen, um den Alltag bezahlbarer zu machen.
Welche zum Beispiel?
Wir schlagen vor, die Stromsteuer zu senken und die Netzentgelte zu reduzieren, um die Stromkosten sowohl für Verbraucher als auch für die Wirtschaft zu senken. Wir wollen auch die Mietpreisbremse verlängern und bestehende Lücken schließen, um sie zu verbessern. Und mit uns kostet das Deutschlandticket weiterhin 49 Euro.
Die von den Grünen gelobten Wärmepumpen finden nicht gerade reißenden Absatz, das Gleiche gilt für Elektroautos. Offenbar können Konsumenten mit diesen Technologien nicht viel anfangen.
Zukunftstechnologien schlechtzureden war und ist die fatale Strategie von CDU und CSU. Ihr ideologischer Kampf gegen Wärmepumpen und Elektroautos geht zu Lasten der Verbraucherinnen und der Wirtschaft, denn die braucht Planungssicherheit. Damit viel mehr Menschen auf E-Autos umsteigen, bringen wir sozial gestaffelte Förderprogramme und eine bessere Ladeinfrastruktur. Und wenn eine neue Heizung fällig ist, gibt es übrigens schon heute eine Förderung von bis zu 70 Prozent, Mieter werden durch die Deckelung geschützt. Wer sich jetzt noch schnell eine Gasheizung besorgt hat, wird das vermutlich finanziell schon bald bereuen. CDU/CSU und leider auch die FDP haben die Verbraucher da hinters Licht geführt.
Zum Jahreswechsel wird Heizen und Tanken jedenfalls teurer. Dann steigt erneut der CO2-Preis.
Das ist für viele Menschen eine enorme Belastung. Wir wollten den CO2-Preis immer schon mit einem Klimageld verbinden, das an die Bürger zurückgezahlt wird. Denn es geht darum, nachhaltige Entscheidungen anzureizen und nicht um eine zusätzliche Einnahmequelle für den Staat. Zusätzlich wollen wir klimafreundliche Mobilität und klimafreundliches Heizen staatlich fördern, um sie bezahlbar zu machen. CDU und CSU stellen diese Förderungen dagegen infrage. Sie wollen die Menschen mit den steigenden Kosten für ihre Gas- oder Ölheizung alleinlassen.
Das Klimageld haben die Grünen schon 2021 gefordert. Es stand sogar im Koalitionsvertrag der Ampel – umgesetzt wurde es aber nicht.
Es scheiterte allein schon daran, dass Christian Lindner als Finanzminister die simple Aufgabe nicht erledigt hat, eine Möglichkeit für direkte Auszahlungen rechtzeitig auf den Weg zu bringen. Und wir müssen in die Pötte kommen: 2027 wird der nationale CO2-Preis in den europäischen Zertifikatehandel übergehen. Dann könnte es sprunghaft teurer werden, weil sich der Preis dann am Markt bildet. Bis dahin brauchen wir ein System, um ein Klimageld an die Bürger auszuzahlen – und zwar sozial gestaffelt. Vom Klimageld sollen vor allem die Menschen profitieren, die finanziell darauf angewiesen sind.
Felix Banaszak über den Wahlkampf: „Wir bleiben über der Gürtellinie”
SPD und Grüne werden bei der Bundestagswahl aller Voraussicht nach keine gemeinsame Mehrheit bekommen. CDU und CSU wiederum setzen sich so stark von den Grünen ab, dass sie sich unglaubwürdig machen würden, wenn sie doch mit Ihnen koalieren. Eigentlich fehlt Ihrer Partei die Machtperspektive.
Wir leben in unsicheren Zeiten, Mehrheitsbildung im demokratischen Spektrum wird zunehmend schwierig. Wer in dieser Situation vor allem darüber spricht, mit wem er nichts zu tun haben will, hat das nicht verstanden. Die Union muss sich fragen, ob sie auch im Bund vor einer Situation wie in Sachsen und Thüringen stehen will, wo sie vom BSW abhängig ist. In Sachsen ist Michael Kretschmer als Anti-Grünen-Tiger gestartet und als Bettvorleger von Sahra Wagenknecht gelandet.
Die Ampelkoalition ist allerdings am Ziel gescheitert, ideologische Gegensätze zu überbrücken. Was muss die nächste Bundesregierung anders machen?
Es geht um die Frage, was für eine politische Kultur wir haben wollen. Sollen Anstand, Respekt und Aufrichtigkeit unsere Arbeit leiten? Oder geht es nur um den kurzfristigen Geländegewinn? Wir Grüne sind da klar: Wir führen harte Auseinandersetzungen in der Sache. Wir zeigen auf, wer verantwortlich ist für den Reformstau und die Probleme, die die Ampel übernommen hat. Wir bleiben aber über der Gürtellinie – und das werden wir auch bis zum Ende durchziehen. Ob die anderen diese nötige Größe auch haben, werden wir sehen.
Ist das eine kluge Strategie, wenn andere Parteien eher einen harten Wahlkampf führen?
Ich nehme ein großes Bedürfnis nach Klarheit und ehrlichen Lösungen wahr. Natürlich werden wir Angriffe nicht unbeantwortet lassen. Trotzdem wollen wir uns nicht in politische Kneipenschlägereien hineinziehen lassen, sondern einen kühlen Kopf bewahren. Ich glaube, ein Teil des Zulaufs für meine Partei beruht auch auf unserem politischen Stil.
Glauben Sie, dass der mutmaßliche Anschlag von Magdeburg den Wahlkampf prägen wird?
Wir werden nach diesen schrecklichen Ereignissen nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Dieser Anschlag mitten in der friedlichen Weihnachtszeit hat die Menschen in Magdeburg tief getroffen und uns alle schwer erschüttert. Wichtig ist, dass den Betroffenen alle Hilfe zukommt, die sie benötigen. Auch die Ersthelferinnen und -helfer sind traumatisiert, die Bilder des Grauens sitzen tief. Den Gedenkgottesdienst einen Tag nach dem Anschlag habe ich als wichtiges Zeichen der Solidarität und Anteilnahme empfunden.
Was meinen Sie konkret, wenn Sie versprechen, die Politik gehe nicht zur Tagesordnung über?
Zu jedem Gedenken gehört es auch, aufzuklären, wie eine solche Tat geschehen konnte und wie sie zukünftig verhindert werden kann. Wir warten nun ab, was die Ermittlungsergebnisse sagen. Noch liegt vieles im Dunkeln, doch eines zeichnet sich ab: Erneut gab es kein Erkenntnisproblem bei den Behörden über den mutmaßlichen Täter, sondern ein Umsetzungsproblem. Genau aus diesem Grund mahnen wir schon seit Längerem eine Reform des Nachrichtendienstgesetzes und des Bundespolizeigesetzes an. Denn auch in Zukunft sollen Menschen ohne Angst zusammenkommen und gemeinsam feiern können.
Über den Gesprächspartner
- Felix Banaszak ist in Duisburg aufgewachsen und hat in Berlin Sozial- und Kulturanthropologie und Politikwissenschaft studiert. 2018 bis 2022 war er Vorsitzender des Landesverbands von Bündnis 90/Die Grünen in Nordrhein-Westfalen. 2021 zog er für die Grünen in den Bundestag ein. Nach dem Rückzug des Parteivorstands wurde er im vergangenen November zusammen mit Franziska Brantner zum Bundesvorsitzenden-Duo von Bündnis 90/Die Grünen gewählt.
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