Elke Schmitter – Alles,was man über die Liebe wissen muss

Startseite Kultur Literatur Elke Schmitter – Alles,was man über die Liebe wissen muss Stand: 23.12.2024, 15:58 Uhr Von: Cornelia Geissler Kommentare Drucken Teilen „… glauben Sie mir endlich, dass ich Ihnen gegenüber nicht im Unrecht sein kann“, schreibt Julie de Lespinasse. © IMAGO/GRANGER Historical Picture Die Geschichte von Helena und Levin: Elke Schmitter erzählt in „Alles
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„... glauben Sie mir endlich, dass ich Ihnen gegenüber nicht im Unrecht sein kann“, schreibt Julie de Lespinasse.
„… glauben Sie mir endlich, dass ich Ihnen gegenüber nicht im Unrecht sein kann“, schreibt Julie de Lespinasse. © IMAGO/GRANGER Historical Picture

Die Geschichte von Helena und Levin: Elke Schmitter erzählt in „Alles, was ich über Liebe weiß, steht in diesem Buch“ von einem großen Gefühl, wie es funktioniert und wie es endet.

Gesichter, abgewandte Frauenkörper, Pflanzenteile, Meereswellen ziehen im Buchladen Blicke auf sich. Dieses Cover aber kommt komplett ohne Bilder oder Ornamente aus. Der Titel nimmt genug Platz ein, es sind zehn Worte, in dieser Reihenfolge: „Alles, was ich über Liebe weiß, steht in diesem Buch“. Am letzten ist noch ein Sternchen rangehängt, das unten wie bei einer Fußnote wieder auftaucht. Dazu steht in Versalien „EINBILDUNGSROMAN“, wobei das „EIN“ schmaler gedruckt ist als der Rest.

Ernst und spielerisch zugleich empfängt Elke Schmitter ihre Leserinnen und Leser auch innen, redet sie an (der Anfang werde „anders sein als jeder andere, als deiner oder auch deiner“), verspricht, alles zu sagen über das Größte, was mit zwei Menschen passieren kann. Sie weist auf ein seriöses Genre, in dem sich die Heldin entwickelt, aber auch auf die Einbildung, etwas Irrtümliches, vielleicht sogar Hochnäsiges. Bei näherer Betrachtung, während des Lesens, werden die Hintergründe dieser Etikettierung klar: „Ein Bildungsroman“ ist der erste Teil des Romans überschrieben, „Einbildungsroman“ der zweite.

Helena, nicht mehr jung, mit einem fast erwachsenen Sohn zusammenlebend, trifft auf einer Party bei Freunden auf einen Mann, der wie für sie ausgesucht wirkt. Mit dem Vorteil, dass sie nicht suchen musste. Sie ist bildende Künstlerin, die auch Klavier spielt. Er, Levin, ist Musikphilosoph, auch Vater eines Sohnes.

Elke Schmitter, die eine große journalistische Karriere hinter sich hat bei taz und „Spiegel“ und die bereits einige erfolgreiche Romane („Frau Sartoris“, „Inneres Wetter“ zum Beispiel) veröffentlicht hat, erzählt hier aus der Perspektive der Frau, wie sich zwei Menschen annähern, die bereits Erfahrung haben mit großen Gefühlen. Und die zugleich Intellektuelle sind, „Kopffüßler“, wie es einmal heißt, gewohnt, alles zu hinterfragen, Emotionen zu misstrauen. Die Belege brauchen, sich Perspektiven ausmalen, dem Gespräch mehr trauen als der Berührung.

Weil das so viel auf einmal ist, was den einzelnen Menschen ausmacht, hat der Roman im ersten Teil, also in jenem, in dem die Liebe entsteht, Einschübe in Form von E-Mails und SMS, Rückblenden in Form von Helenas Erinnerungen und viele Fußnoten. Man kann die Sternchen übrigens wie bei einem Sachbuch ausblenden beim Lesen, die Geschichte von Helena und Levin funktioniert ohne sie. Hat man aber einmal angefangen, den Fußnoten zu folgen, sucht man neugierig weiter. Die Erläuterungen zur biologischen Substanz der Endorphine, zu soziologischer Liebesliteratur oder psychoanalytischen Thesen fügen sich wie eine weitere Tonspur in die Melodie des Paars.

Über die Liebe ist hier wirklich viel zu lesen, sie versetzt die Erzählerin in einen manischen Zustand, wie er so nur zwei-, dreimal im Leben vorkomme, oder auch vier-, fünfmal, „wenn man ein Hefeherz hat, das schnell und ohne Zögern aufgeht“. Ein Paar, das sich lieben lernt, betritt ein neues Land, „das man, wie alles andere, erst gemeinsam erschafft“. Ob Raserei, Glück oder tragischer Irrtum, die Liebe sei vor allem, so steht es in diesem Buch, das „Gegenteil der Sinnlosigkeit“. Elke Schmitter findet unverbrauchte Wendungen: Auf den „Seelenfüßen“ befindet sich der Mensch in gutem Zustand, und wenn einem die Wohnung des anderen sympathisch ist, ist es eine, „die sofort Du zu mir sagte“.

Die Intensität des Gefühls lässt auch die Fußnoten anschwellen, in Länge und Gelehrtheit, etwa wenn der Erzählerin „der Wie-Faust-aufs-Auge-Gedanke von Heraklit“ entgegenfällt, und dies „in den geschmeidigen Worten Sloterdijks“.

Das Buch

Elke Schmitter: Alles, was ich über Liebe weiß, steht in diesem Buch. Roman. C. H. Beck, München 2024. 350 S., 26 Euro.

Prahlt da die Autorin mit Wissen oder versucht die Künstlerin Helena mit dem Philosophen Levin Schritt zu halten? Und ja, es gibt, wie es sich für den Bildungsroman gehört, eine Entwicklung. In einer Geschichte von zehn Seiten erinnert sich das Ich an eine brutale Erfahrung mit Männern als ganz junge Frau – und es dauert, bis man versteht, dass auch in den glücklichen Rausch eine Ernüchterung einziehen wird. Nein, körperliche Gewalt ist es nicht.

Der zweite Teil des Buches hat einen vollkommen anderen Charakter, auch wenn das Ich noch dasselbe ist. Elke Schmitter setzt hier – ohne Fußnoten – eine Art Tagebuch und Lesetagebuch zusammen. Helena verzehrt sich noch nach Levin, möchte diesen Zustand aber überwinden. Man erfährt hier viel mehr über ihren Alltag, nicht nur, weil der Zeitraum länger ist als im ersten Teil.

Die enttäuschte, nicht ausdrücklich verlassene, sondern sich wie vergessen fühlende Frau nimmt Arbeit, Freunde, Familie nun anders wahr. Sie sucht Fehler bei sich, sie interpretiert sein Verhalten mithilfe der Psychologie. „Ich habe mich in einen Verwirrten verliebt, das ist leider wahr.“ Sie kämpft darum, ihre Gefühle zu lenken, es gelingt ihr manchmal, es gibt Rückschläge, manchmal ein Suhlen im Unglück. „Meine Haut hat Hunger.“ Zwei Wochen später: „Der ganze Körper allein.“

Dazwischengesetzt sind Zitate aus den „Briefen einer Leidenschaft 1773 bis 1776“ der französischen Salonnière Julie de Lespinasse. Zum Beispiel so: „Mein Gott, hören Sie mich an und glauben Sie mir endlich, dass ich Ihnen gegenüber nicht im Unrecht sein kann, und Sie wissen auch sehr gut, warum sich das so verhält.“ Oder: „Ich erwarte keinen Brief mehr von Ihnen, aber ich werde mich dennoch danach sehnen, solange ich atme.“

Der hohe Ton jener nur mehr nutzlos Liebenden passt nun zu manch gedrechseltem Anmerkungssatz im Teil zuvor und zeigt, wie durchdacht das ganze Romangebilde erschaffen ist. Es zeigt auch, wie man Antworten in Literatur finden kann, wie Lesen und Schreiben des Menschen Herz erreichen, zum Sprechen bringen.

„Alles, was ich über Liebe weiß“ zu erzählen, bedeutet auch anzuerkennen, dass Liebe sich verändert, dass sie vergehen kann, dass kaum einmal beide Partner in derselben Verfassung auseinandergehen. Elke Schmitters Roman über das meistbesungene, meistbeschriebene Gefühl besetzt seinen eigenen Platz in der Literatur- und Wissenschaftsgeschichte. Es ist ein Plätzchen nur, wenn man das Meer der Geschichten zu überblicken versucht. Aber ihr Erzählen zupft an dieser Saite, die in jedem Menschen zum Klingen kommt – zwei-, dreimal im Leben vielleicht oder, wenn man ein Hefeherz hat, noch öfter.

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