Am Donnerstag geht ein großer Gefangenenaustausch zwischen dem Westen und Russland über die Bühne. Laut dem „Wall Street Journal” spielt eine Delegation von Bundeskanzler Scholz bei den Verhandlungen eine entscheidende Rolle – trotz großer Bedenken deutscher Regierungsmitglieder und Diplomaten.
Bundeskanzler Olaf Scholz spielte laut einem Medienbericht eine zentrale Rolle bei den Verhandlungen über den Austausch von Gefangenen zwischen westlichen Ländern und Russland, der am vergangenen Donnerstag über die Bühne ging. Wie das „Wall Street Journal” (WSJ) berichtet, arbeitete Scholz mit seinen engsten Mitarbeitern und gegen die Bedenken führender Minister und Diplomaten hinter den Kulissen an dem Deal.
Demnach begannen die Verhandlungen mit der Verhaftung des US-Journalisten Evan Gershkovich am 29. März 2023 in Jekaterinburg. Zunächst habe der US-Geheimdienst CIA mit dem russischen Geheimdienst FSB einen Deal erarbeitet, der auch die Freilassung des Kremlkritikers Alexej Nawalny vorsah. Doch kurz nachdem der russische Präsident Wladimir Putin im Januar das Angebot erhalten habe, starb Nawalny in Haft, was die Gespräche zum Scheitern gebracht habe.
Schokoriegel in der Aktentasche
Im Anschluss habe Scholz gegenüber Washington signalisiert, dass er bei der Freilassung helfen könne. Jedoch habe er darauf bestanden, dass seine eigenen Unterhändler an den Gesprächen teilnehmen müssten. Geleitet worden sei die deutsche Delegation vom Vize-Chef des Bundesnachrichtendienstes (BND), Philipp Wolff. Der 52-Jährige sei in Sicherheitskreisen als „Diplomat unter Geheimagenten” bekannt. „Seine ungewöhnliche Methode, die Spannungen bei Gesprächen abzubauen: Er bietet Schokoriegel an, die er in seiner Aktentasche mit sich trägt”, schreibt das WSJ.
Wolffs Team habe eine Chance gesehen, nachdem russische Diplomaten erklärt hätten, sie würden den Deal noch vor den US-Wahlen im November abschließen wollen. Einige Beamte hätten daraus geschlossen, dass die Russen entweder besorgt waren, dass ein unberechenbarer Donald Trump erneut Präsident werden könnte. Eine andere Erklärung sei gewesen, dass man in Moskau befürchtet habe, dass Scholz nicht mehr bereit wäre, einem US-Präsidenten zu helfen, der kaum eine Gelegenheit auslässt, Deutschland zu kritisieren. „Wir haben dann beschlossen, bis zum Äußersten zu gehen”, sagte ein hoher Beamter, der an den Gesprächen beteiligt war, dem WSJ.
„Wir sind bereit, aber nur, wenn der Preis stimmt”
Bei einem Treffen in Saudi-Arabien im Frühjahr habe die deutsche Seite sich dann zum ersten Mal bereit erklärt, den sogenannten Tiergarten-Mörder Wadim Krasikow freizulassen. „Wir haben klargestellt: Wir sind bereit, aber nur, wenn der Preis stimmt”, sagte ein beteiligter hochrangiger Beamter dem Blatt. Der gesamte deutsche Sicherheitsapparat, führende Minister, Spitzendiplomaten und Regierungsjuristen lehnten die Freilassung des Auftragskillers Krasikow ab, weil sie einen gefährlichen Präzedenzfall fürchteten, schreibt das WSJ. Am Ende habe sich Scholz aber durchgesetzt.
Einige Wochen später habe Moskau zugestimmt, acht bekannte russische Dissidenten, darunter Nawalnys Mitarbeiter sowie Kreml-Kritiker Wladimir Kara-Mursa freizulassen. Das Abkommen sei laut einer russischen Quelle am Ende auch durch einen Personalwechsel im russischen Verhandlungsteam begünstigt worden. Am 22. Juni habe der FSB-Offizier Alexej Komkow die Leitung des Teams von General Sergej Beseda übernommen, einem Veteranen des Kalten Krieges. Kurze Zeit später habe Komkow Putin in einer Audienz versprochen, mit Krasikow zurückzukehren, so ein russischer Offizier, der an den Gesprächen beteiligt war.
Am Donnerstag wurden dann von Russland und Belarus insgesamt 16 Menschen freigelassen. Unter ihnen Journalisten, Künstler, Oppositionelle und Aktivisten. Im Gegenzug wurden zehn Personen an Moskau übergeben, darunter Krasikow, weitere Geheimagenten und Spione sowie zwei Minderjährige.