Das Problem ist der Mensch: Wird Deutschland bald zum Bärenland?

Lange Zeit galt er in Deutschland als ausgerottet: Der Braunbär. Trotzdem haben immer mehr Menschen Angst vor ihm. Das ist jedoch unbegründet, wie unser Autor recherchiert hat. „Natürlich freuen wir uns, einen sich normal verhaltenden Bären in Bayern zu haben”, sagt Bayerns ehemaliger Ministerpräsident Edmund Stoiber auf einer Pressekonferenz Ende Mai 2006. „Der normal verhaltende
Das Problem ist der Mensch: Wird Deutschland bald zum Bärenland?

Lange Zeit galt er in Deutschland als ausgerottet: Der Braunbär. Trotzdem haben immer mehr Menschen Angst vor ihm. Das ist jedoch unbegründet, wie unser Autor recherchiert hat.

„Natürlich freuen wir uns, einen sich normal verhaltenden Bären in Bayern zu haben”, sagt Bayerns ehemaliger Ministerpräsident Edmund Stoiber auf einer Pressekonferenz Ende Mai 2006. „Der normal verhaltende Bär lebt im Wald und reißt vielleicht ein oder zwei Schafe im Jahr. Wir haben aber einen Unterschied zwischen dem sich normal verhaltenden Bären und dem Problembär. Und es ist ganz klar, dass dieser Bär ein Problembär ist.”

Dieser Bär – das ist ein Braunbär. Es ist der wohl bekannteste Bär, der sich nach Deutschland verirrt hat. Denn eigentlich sind Braunbären schon im 19. Jahrhundert ausgerottet worden. 1835 hatten Jäger den „letzten deutschen Braunbären” erlegt. Das war im bayerischen Voralpenland, in der Nähe von Ruhpolding. Doch knapp 170 Jahre danach wurde wieder ein Bär in Bayern gesichtet. Die Bayern gaben ihm den liebevollen Namen Bruno. Biologen nannten ihn JJ1.

Frühling 2006. In Bayern ist es kalt, in weiten Teilen des Freistaates liegt noch bis Anfang Juni Schnee. Doch dann folgt ein unerwarteter Wetterumschwung. Es wird ein märchenhafter Sommer, auf den nur ein kleiner Schatten fällt: der Tod von Braunbär Bruno.

Als Bruno in Bayern gesichtet wurde ...

Als Bruno in Bayern gesichtet wurde …

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Was wollte Bruno in Bayern?

Warum er sich auf den Weg nach Bayern gemacht hat, ist nicht bekannt. Eigentlich hatte er im italienischen Trentino ein schönes Leben gehabt. Bruno und seine Mutter Jurka lebten in der Nähe eines Hotels. Der Besitzer hatte die beiden Bären mit Futter angelockt. Sie waren eine Attraktion für seine Gäste. Doch irgendwann ist Bruno verschwunden.

Am 20. Mai taucht er wieder auf, im Ammergebirge, das zu den bayerischen Alpen gehört. Dessen bekanntesten See, den Eibsee, kann man von der Zugspitze aus sehen. Und dort, in der Nähe von Garmisch-Partenkirchen, findet ein Jäger drei tote Schafe auf einer Wiese. Zunächst ist unklar, ob sie von einem Hund oder einem Bären gerissen worden sind. Einen Tag später finden Jäger weitere gerissene Schafe – und ein „Fußsiegel”, also eine deutliche Fährte. Die stammt von Braunbär Bruno.

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Panorama 30.07.24

Gefahr für Urlauber „Problembärin” am Gardasee abgeschossen

Jahrelang lebten Bären in großer Zahl in Slowenien. 1999 waren einige von ihnen in Norditalien ausgewildert worden. Die durchstreifen nun die Alpen. Menschen bekommen sie normalerweise nicht zu Gesicht. Wenn ein Bär einen Menschen wittert, weiß er: Hier droht Gefahr. Dann nimmt er Reißaus – oder er versteckt sich.

Aber Bruno ist anders. Er hat keine Angst vor Menschen. So dringt er am Abend des 22. Mai 2006 in eine Siedlung bei Garmisch ein, zerstört einen Hühnerstall und reißt mehrere Hennen. Nun ist klar: Aus Bruno ist ein Problembär geworden. „Da gibt es nur die Lösung, ihn zu beseitigen”, sagt Ministerpräsident Stoiber kurz danach auf seiner Pressekonferenz. Denn die Experten wissen: Bruno wird sich nicht vertreiben lassen wie andere Bären.

Bruno soll leben

Viele Organisationen setzten sich für Bruno ein - vergebens.

Viele Organisationen setzten sich für Bruno ein – vergebens.

Bayerns Umweltminister Werner Schnappauf von der CSU ordnet an, Bruno zu jagen. Doch er hat nicht mit der Bevölkerung gerechnet. Die verlangt: Bruno soll leben. Dabei wird sie von vielen Tierfreunden und Tierschutzorganisationen unterstützt. Die Regierung gibt nach, lässt eine Gruppe finnischer Jäger einfliegen, die Bruno lebendig fangen soll. Doch der Bär ahnt womöglich die Gefahr und versteckt sich. Zwei Wochen dauert die Jagd, dann fliegen die Finnen unverrichteter Dinge wieder nach Hause.

Und plötzlich ist Bruno wieder da. Er badet in einem Weiher und wird von Mountainbikern beobachtet, die 15 Meter entfernt an ihm vorbeifahren. Er nähert sich einigen Bergsteigern, die ihn fast anfassen können. Am 24. Juni fällt im bayerischen Umweltministerium dann die endgültige Entscheidung, den Braunbären zu erschießen. Eine Gruppe von Jägern steigt hinauf zur Kümpflalm in den Bayerischen Alpen. Dort war Bruno zuletzt gesehen worden. Die Jäger legen sich auf die Lauer, und am Morgen des 26. Juni 2006 taucht Bruno unvermittelt auf. Die Jäger reagieren sofort, schießen auf den Bären. Bruno wird getroffen. Mit zwei Schüssen.

Noch heute machen sich Tierfreunde auf den Weg, erklimmen die gut 1.800 Meter hoch gelegene Alm, die eine traurige Berühmtheit erlangt hat. Und sie besuchen das Museum „Mensch und Natur” in München. Dort kann man den ausgestopften Bruno besuchen.

Der ausgestopfte Bruno ist ein Besuchermagnet.

Der ausgestopfte Bruno ist ein Besuchermagnet.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Die Bärenschützer

„Zumindest ist ein Abschuss im Falle von mehrfachen Verhaltensauffälligkeiten wohl die tiergerechtere Variante”, sagt Christopher Schmidt ntv.de. Schmidt ist Pressesprecher der Stiftung für Bären -Wildtier- und Artenschutz, die auf ihrer Internetseite über alles informiert, was mit Bären zu tun hat. „Das Schlimmste für einen Wildbären ist die Gefangenschaft.” Wenn sämtliche „Vergrämungsmaßnahmen” fehlschlagen, ein Bär seine Auffälligkeiten beibehält und der Natur entnommen werden muss, dann wäre im Sinne des Tieres ein Abschuss daher besser, so der Experte. „Diese Entscheidung ist heikel und sollte daher das Resultat von professionellem Tiermanagement sein.”

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Panorama 22.07.23

Kobra, Alligator, Känguru & Co. Aus dem Sommerloch kriechen die tierischen Stars

Vergrämungsmaßnahmen – so nennen Tierschützer den Versuch, einen Bären zu ärgern, damit er von seinem ausgewählten Jagdort buchstäblich „die Schnauze voll” hat. Darum haben die Jäger in Bayern den Braunbären Bruno zuerst mit Gummigeschossen zu vertreiben versucht.

Braunbären haben eine Schulterhöhe von bis zu eineinhalb Meter. Sie wirken manchmal etwas tollpatschig, aber das sind sie nicht. Ganz im Gegenteil: Sie laufen auf großen und schweren Tatzen mit langen Krallen. Und sie haben den besten Geruchssinn aller Säugetiere. Braunbären sind auch nicht überall auf der Welt braun. So haben nordamerikanische Bären ein gräuliches Fell, anderswo sind sie schwarz oder blond. Der WWF vermutet, dass es weltweit etwa eine halbe Million Braunbären gibt.

Brunos Mutter Jurka

Brunos Mutter Jurka

(Foto: Hofmann)

Neue Heimat

Doch sie sind gefährdet, hauptsächlich durch Menschen. Hier kommt die Stiftung für Bären ins Spiel, sagt Christopher Schmidt: „Wir retten (Wild)Tiere aus schlechten Haltungen, geben ihnen die Chance auf eine verhaltensgerechte Unterbringung und setzen uns für den Erhalt ihres natürlichen Lebensraums sowie die Population in freier Wildbahn ein.” Neben europaweiten Rettungsaktionen und Kampagnen betreibt die Stiftung zwei Wildtierrefugien, den Alternativen Bärenpark Worbis und den Alternativen Wolf- und Bärenpark Schwarzwald. Dort, im Schwarzwald, fand auch Brunos Mutter eine neue Heimat.

Dass sich Braunbären in der nächsten Zeit in Deutschland wieder ansiedeln, hält Schmidt für unwahrscheinlich. Trotzdem könnten sie sich primär in Süd- und Ostdeutschland recht wohlfühlen, vor allem in den Alpen, dem Bayerischen- und dem Thüringer Wald sowie im Erzgebirge. Denn Braunbären lieben Wälder. Besonders in alpinen Gebirgen fühlen sie sich wohl. Dort finden sie viele Pflanzen, die sie gerne fressen. Und vereinzelt reißen sie auch mal ein Tier, das nicht aufpasst.

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Panorama 23.06.23

Nach Tod von Jogger Italienische Provinz soll Umzug von Bärin prüfen

Braunbären können weite Wege zurücklegen. Und sie kennen keine Grenzen. Darum kann es vorkommen, dass ein Bär aus Norditalien, der Slowakei oder Slowenien in Deutschland vorbeischaut. „Für Bären sind grundlegend weitläufige Waldgebiete mit wenig bis keiner Besiedlung interessant”, sagt Schmidt.

Bären mögen keine Menschen

„Bären werden sich kaum verirren, sie haben eine ausgezeichnete Orientierung, ihre Wanderungen sind keineswegs zufällig gewählt”, sagt der Bärenexperte. Deswegen sind sie für Menschen weitgehend ungefährlich. „Wer sich nicht gerade in den bekannten Grenzgebieten in der Alpengegend aufhält, wird aktuell wohl kaum auf einen Bären treffen.” Außer, es handelt sich um einen „Problembären” wie Bruno, den Braunbären. Doch hier ist das Problem weniger der Bär, sondern der Mensch. Bären mögen keine Menschen. Doch wenn es Menschen gelingt, sie zum Beispiel durch ständige Fütterung an sich zu gewöhnen, verlieren sie ihre Angst. Dann kann ein Mensch auch mal zur Beute werden.

In den Schutzgebieten der Stiftung für Bären kann das nicht passieren, sagt Schmidt: „In unseren Tierschutzprojekten ermöglichen wir durch weitläufige, naturnahe Freianlagen wie im Bärenwald den geretteten Tieren, das Wildtier in sich wiederzuentdecken. Die BesucherInnen können Bär, Wolf und Luchs dabei beobachten, wie sie wirklich sind. Außerdem klären wir über Tiermissbrauch auf. Bei uns kann man erfahren, welches Leid der Mensch den Tieren antut und was dagegen getan werden kann”, sagt Schmidt.

Die Bärenmiliz

Doch dann gibt es noch die andere Seite. Indar Baier-Müller zum Beispiel. Die Landrätin aus dem Oberallgäu macht sich Sorgen. Im vergangenen Jahr war ein Bär durch ihren Landkreis gezogen. Nun hat sie die „Initiative Braunbär” gegründet. In einem Brief an den bayerischen Umweltminister Thorsten Glauber von den Freien Wählern fordert sie ihren Parteifreund auf, eine „bewaffnete Braunbärenbereitschaft” zu gründen. Die solle über „Waffen und Munition für die Vergrämung und Entnahme von Braunbären verfügen.”

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Panorama 09.05.23

Eltern von Opfer entsetzt Tierschutzverband: Bärin tötete Jogger nicht

Fakt ist: Ein wild gewordener Braunbär kann unter den Tierbeständen der Landwirte erheblichen Schaden anrichten. Dennoch erteilte das Umweltministerium in München der Forderung ein „No-go”. „Es gibt derzeit keinen Nachweis für einen Bären in Bayern”, ließ ein Ministeriumssprecher wissen.

Doch sollte ein Wanderer plötzlich unvermittelt vor einem Braunbären stehen, hat Christopher Schmidt einen Rat: „Ruhe bewahren ist oberstes Gebot. Auf keinen Fall versuchen, wegzurennen oder den Bären in die Flucht zu schlagen. Höchstwahrscheinlich hat das Tier eine ähnlich große Angst wie der Mensch.”

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