Sieben Lehren aus Landtagswahlen: Thüringen ist unregierbar, Anti-Ukraine-Parteien siegen

Am Morgen nach den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen muss sich das Land an den Gedanken wohl noch gewöhnen: Die AfD ist tatsächlich stärkste Kraft geworden. Auch wenn sie wohl nicht regieren wird, ist das ein großer Erfolg. Doch es gibt noch weitere Lehren aus dem Abend. 1. Für die AfD geht es weiter aufwärts
Sieben Lehren aus Landtagswahlen: Thüringen ist unregierbar, Anti-Ukraine-Parteien siegen

Am Morgen nach den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen muss sich das Land an den Gedanken wohl noch gewöhnen: Die AfD ist tatsächlich stärkste Kraft geworden. Auch wenn sie wohl nicht regieren wird, ist das ein großer Erfolg. Doch es gibt noch weitere Lehren aus dem Abend.

1. Für die AfD geht es weiter aufwärts

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Politik 01.09.24

Stärkste Kraft in Thüringen Die AfD schreibt Geschichte – aber keine gute

Die Umfragen haben seit Monaten in diese Richtung gedeutet und nun ist es eingetreten: Die AfD feiert bei den Landtagswahlen historische Erfolge. Vor allem in Thüringen: Dort wird sie stärkste Kraft, zum ersten Mal überhaupt in ihrer Geschichte. Und zum ersten Mal wird in der Bundesrepublik eine als rechtsextrem eingestufte Partei Wahlsieger. In Sachsen fährt sie ein ähnliches Ergebnis ein. In beiden Ländern erreicht die AfD damit die Sperrminorität, kann also wichtige Entscheidungen wie Verfassungsänderungen blockieren.

In Thüringen kommt außerdem die Strategie an die Grenze, Regierungen an der AfD vorbeizubilden. Selbst ein Bündnis aus CDU, SPD und BSW hätte keine eigene Mehrheit. Nur wenn die Linke noch dazu käme, würde es reichen. Das aber hat die CDU ausgeschlossen. Die Linke könnte auch eine Minderheitsregierung aus den drei genannten Parteien tolerieren. Aber vor der Wahl sagten alle, sie wollten endlich wieder eine Regierung mit eigener Mehrheit. Hinzu kommt: Die AfD könnte sich endgültig als einzige Alternative zu den anderen Parteien präsentieren.

2. Wagenknecht, die strahlende Siegerin

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Politik 01.09.24

Plötzlich Zünglein an der Waage Wagenknecht regiert jetzt Deutschland mit

Wirklich, die AfD ist der große Gewinner? Nein, Sahra Wagenknecht ist die große Gewinnerin! Ihr Lächeln strahlte am Sonntagabend stärker als alle AfD-Kernkraft-Vorhaben zusammengenommen. Das liegt auch daran, dass ihr die scharfe Kritik aus anderen Parteien und Medien – berechtigt oder nicht – sehr zugesetzt haben soll. Nun aber hat sie etwas kaum für möglich Gehaltenes geschafft, zusammen mit einer kleinen verschwiegenen Truppe, der auch Ehemann Oskar Lafontaine angehört: auf Anhieb zweistellig in die Parlamente zweier Flächenländer einzuziehen. Sogar eine Regierungsmehrheit geht nicht am Bündnis Sahra Wagenknecht vorbei, solange die anderen Parteien die Brandmauer zur AfD hochhalten.

Damit wird das BSW schlagartig zum Machtfaktor weit über den Osten des Landes hinaus. Sie fordert eine andere Ukraine-Politik und eine Reform der Schuldenbremse. Das ist ein Problem für CDU und SPD, wenn die mit dem BSW koalieren wollen. Ebenfalls erstaunlich: Das BSW ist zwar groß geworden, nicht aber auf Kosten der AfD. Sie gewinnt vor allem bei den Wählern der übrigen Parteien. Was werde diese sich nun programmatisch abschauen, um einen vergleichbaren Erfolg bei der nächsten Bundestagswahl zu verhindern?

3. Die Anti-Ukraine-Parteien gewinnen

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01:58 min
Politik 01.09.24

Blome zu Wahlsieg in Thüringen „Hälfte der Anhänger wählt AfD, weil sie ist wie sie ist”

Es sind „nur” Landtagswahlen – doch wer denkt, dass die konkreten Auswirkungen der sächsischen und der Thüringer Wahl auf die Bundesländer beschränkt bleiben, der hat mindestens Sahra Wagenknecht nicht zugehört. Die Chefin und Namensgeberin des BSW will ihren Wahlerfolg – und die verquaste Situation mit Blick auf eine Regierungsbildung an der rechtsextremen AfD vorbei – für die Bundespolitik nutzen. Bedingung für Regierungsbündnisse mit ihr: keine weiteren Waffen für die Ukraine und keine US-Mittelstreckenraketen in Deutschland. Für das BSW ergibt diese Kaltschnäuzigkeit Sinn, denn Wagenknecht macht seit Monaten mit diesen Sicherheitsfragen Politik. Ebenso die AfD, die sich wie das BSW gegen eine weitere Unterstützung der Ukraine mit Waffen ausspricht und Verhandlungen zwischen dem russischen Angreifer und der sich verteidigenden Ukraine fordert. Zugleich eint beide Parteien eine kritische bis ablehnende Haltung dem NATO-Partner USA gegenüber.

Zusammen bleiben BSW und AfD in Thüringen nur knapp unter der Hälfte aller abgegebenen Stimmen. In Sachsen kommen sie immerhin auf über 40 Prozent. Das ist auch Ausdruck dessen, dass ein großer Teil der Menschen in Ostdeutschland das „As long as it takes” des Kanzlers, der die Ukraine „so lange wie nötig” gegen die russische Invasion unterstützen will, nicht mitträgt. Und dass diese Haltung BSW und AfD aufs Konto gezahlt haben, und zwar nicht zu knapp. Der AfD nutzt das nichts im Bund, da mit ihr ja ohnehin keiner kann und will. Aber für das BSW wird ein ziemlich schicker Schuh draus, wenn sie nun versucht, für arbeitsfähige Regierungsmehrheiten in den Ländern auf Bundesebene ihre russlandfreundlichen Positionen durchzudrücken. Sich derart inhaltlich erpressen zu lassen – eigentlich undenkbar für die zukünftigen Koalitionspartner. Zudem wäre es ein nachgerade unterirdischer Start für die Zusammenarbeit.

4. CDU ist die letzte Bastion gegen die AfD

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01:52 min
Politik 01.09.24

BSW mit zweistelligem Ergebnis CDU bleibt stärkste Kraft in Sachsen – AfD knapp dahinter

Jeweils gut 30 Prozent in Sachsen und Thüringen, der Erfolg der AfD ist offensichtlich. Doch immerhin, in Sachsen steht die CDU knapp auf Platz eins. In Thüringen übertraf sie mit 24 Prozent die Erwartungen und wurde Zweiter. Gerade beim Kern-Thema der AfD, der Zuwanderung, kann die CDU offenbar glaubhaft Sorgen und Nöte eines großen Teils der Bevölkerung aufgreifen und thematisieren. Das zeigt sich in Thüringen beim Thema Bezahlkarte und Arbeitspflicht für Asylbewerber. Die Partei hat sich auch auf Bundesebene deutlich vom Kurs der Merkel-Jahre distanziert.

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer hat immerhin sein Ziel erreicht, stärkste Kraft vor der AfD zu werden. Doch sein Aufruf an SPD- und Grünen-Wähler, dieses Mal strategisch zu wählen, brachte ihm kaum zusätzliche Stimmen. Zu Recht, denn die CDU ist kein Sammelbecken für alle, die keine starke AfD wollen. Die AfD verhindert man genauso durch starke Grüne oder eine starke SPD. Ohnehin sollte man sich AfD-Wähler nicht ausschließlich als verirrte Christdemokraten vorstellen, die nur in den Schoß der CDU zurückgeführt werden müssten. Denn zur AfD sind in den vergangenen Jahren Wähler aller anderen Parteien geströmt, auch von Linken und SPD. Auch diese Parteien müssen sich fragen, wie sie AfD-Wähler zurückgewinnen können. Allein kann die CDU das nicht schaffen.

5. Die Linke ist tot, trotz König Bodo

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03:52 min
Politik 01.09.24

Thüringens Ministerpräsident zu Wahlen Ramelow: „Kannibalisierung” der Linken hat zwei Ursachen

Viel ist an diesem Abend von Geschichte die Rede, aber wenig von Oskar Lafontaine. Dabei hat der nun auch offiziell seine zweite Partei auf dem Gewissen. Mit der Gründung der Linkspartei brachte Lafontaine einst die SPD um ihren Status als Volkspartei. Nun hat er zusammen mit Wagenknecht und ihrem gemeinsamen Projekt BSW die Linke als Ostpartei beerdigt. Klar, mit dem Aufkommen der AfD war dieser Status schon lange wacklig. Doch erst die Abspaltung der Wagenknecht-Leute von der Linken hat auch König Bodo zu Fall gebracht: Bodo Ramelow ist trotz hoher persönlicher Sympathiewerte als Ministerpräsident Thüringens abgewählt.

Ramelow immerhin bewahrte die Linke in Thüringen vor dem Rausschmiss. In Sachsen hat die Linke keinen Ramelow, aber dafür die Stadt Leipzig: Zwei Direktkandidaten aus den linken Stadtteilen sicherten den Wiedereinzug der Partei ins Parlament. In Brandenburg kämpft die Partei am 22. September ebenfalls gegen den Rausschmiss an. Sie ist im Osten jetzt eine Nischenpartei. Zwar noch überall vertreten, aber vorerst ohne Perspektiven. Ein Wiedereinzug in den Bundestag geht 2025 nur über Direktmandate. Hier könnte Leipzig helfen – und vielleicht auch König Bodo.

6. Ampel ist im Osten ein Fremdkörper

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Politik 01.09.24

Konsequenzen aus Wahlergebnissen FDP-Vize Kubicki: „Ampel hat Legitimation verloren”

Was war die SPD stolz im September 2021! Keine andere Partei hatte im Osten so viele Bundestagswahlkreise gewonnen wie die Scholz-Partei. Und jetzt? Hat sie zwar im Vergleich zu den Landtagswahlen 2019 wenige Wählerinnen und Wähler verloren, aber sie ist doch eine Kleinpartei. In Sachsen und Thüringen liegt sie je im einstelligen Bereich, näher an der Fünf-Prozent-Hürde als am BSW. Und die Grünen? Wurden in Sachsen von ein paar Großstadtbewohnern im Parlament gehalten. In Thüringen gibt es nicht genug große Städte für die Grünen. Und die FDP? Ja, wo ist sie denn? Da unten, ja da, wenn Sie ganz genau hinschauen: Richtig, die Ein-Prozent-Partei im Endwahlergebnis, das ist die Partei von Bundesfinanzminister Christian Lindner.

Nein, die Unbeliebtheit der Ampel im Osten ist nichts Neues. Aber bedenklich ist es dennoch: Die Ampelkoalition im Bund ist zumindest in Thüringen und Sachsen ein Fremdkörper. Der Graben zwischen den Menschen dort und den Berliner Verantwortungsträgern (nein, nicht alle gendern hier) scheint kaum überbrückbar. Dabei haben sich Scholz und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck durchaus bemüht: mit vielen Ortsterminen oder Leuchtturmprojekten wie den Chip- und Halbleiterfabriken in Magdeburg und Dresden. Doch den Osten erreicht haben sie so nicht. Die Gründe sind vielfältig. Der Befund ist im 35. Jahr nach der Wiedervereinigung bedenklich.

7. Thüringen ist unregierbar geworden

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Politik 01.09.24

Thüringen: Vorläufiges Ergebnis Keine Mehrheit für Bündnis von CDU mit BSW und SPD

Schon vor fünf Jahren bescherten die Thüringer ihren Politikern ein schwieriges Ergebnis. Es folgten fünf Jahre Minderheitsregierung mit Linken, SPD und Grünen. „Nie wieder!” war der Tenor aller Beteiligten. Doch nun sieht es danach aus, dass genau das wieder kommen könnte. Selbst CDU, SPD und BSW zusammen kommen nicht auf die absolute Mehrheit. Mit AfD und Linken schließt die CDU aber ein Bündnis aus. Da bleibt eigentlich nur eine erneute Minderheitsregierung der genannten Parteien – unter Duldung durch die Linken. Das wäre nichts weniger als ein Abenteuer.

Und jetzt? Vielleicht ist das der neue Normalfall. Vielleicht sind, zumindest in Thüringen, die Zeiten klarer Verhältnisse vorbei. Wenn aber Minderheitsregierungen Alltag werden, finden die Regierenden vielleicht auch Möglichkeiten, etwas daraus zu machen. In anderen Ländern gibt es so etwas auch. Aber erstmal überwiegt der Frust. Die 32,8 Prozent für die AfD lassen sich nicht mehr ignorieren oder weglächeln. Thüringen ist zumindest nach traditionellem Verständnis unregierbar geworden.

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